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Archiv-Artikel

Regierung sucht die Hintertür

Nach einem Urteil der britischen Lordrichter dürfen in Großbritannien keine Aussagen mehr als Beweise verwendet werden, die durch Folter erzwungen wurden

DUBLIN taz ■ Aussagen, die durch Folter erzwungen wurden, sind in Großbritannien künftig nicht mehr gerichtsverwertbar. Das entschied das höchste britische Gericht am Mittwoch. Die sieben Lordrichter erklärten einstimmig, dass Beweise aus dem Ausland, die unter Folter zustande gekommen sind, in Großbritannien nicht mehr länger gültig seien. Die Beweispflicht liege nicht bei den Terrorverdächtigen, da die meistens gar nicht wissen, aufgrund welcher Beweise sie festgehalten werden, sagte der vorsitzende Richter Lord Bingham. Vielmehr müssen die Behörden genau prüfen, ob Folter bei irgendwelchen Zeugenaussagen im Spiel war.

Die Lordrichter hoben damit das Urteil des Berufungsgerichts vom August vorigen Jahres auf, wonach Beweise zulässig seien, solange die Gefangenen im Ausland gefoltert worden seien und Großbritannien weder daran beteiligt war, noch die Folter gut geheißen habe.

Die britischen Geheimdienste MI5 und MI6 haben in der Vergangenheit freimütig eingeräumt, dass sie in zahlreichen Fällen den Gerichten Beweise gegen Terrorverdächtige vorgelegt haben, die vermutlich durch Folter im Ausland erpresst worden waren.

Das eigentlich selbstverständliche Urteil der Lordrichter hat erhebliche Folgen für die britische Regierung. Sie muss nun in rund 30 Fällen nachweisen, dass die Aussagen von Gefangenen freiwillig gemacht worden sind. Das Thema Folter war vor das höchste Gericht gekommen, weil acht ausländische Terrorverdächtige, die meisten von ihnen Algerier, Klage eingereicht hatten. Sie waren auf Grund von Antiterrorgesetzen, die nach den US-Anschlägen vom 11. September im Eilverfahren verabschiedet worden waren, in London inhaftiert, aber nicht angeklagt worden.

Voriges Jahr entschieden die Lordrichter, dass diese Internierung gesetzeswidrig sei. Die britische Regierung ließ die acht Männer daraufhin unter strengen Auflagen frei. Inzwischen sitzen sie wieder in Abschiebehaft. Sie haben erklärt, dass die Beweise gegen sie vor allem auf Aussagen Dritter beruhen, die in Algerien unter Folter erpresst worden seien. Das Berufungsgericht verwarf die Klage vergangenes Jahr: Die britische Regierung sei nicht verpflichtet, zu überprüfen, wie irgendwelche Beweise aus dem Ausland zustande gekommen seien.

Nun ist sie es aber doch. Die Regierungsanwälte hatten vor Gericht argumentiert, dass man Länder, auf die man beim Kampf gegen den Terrorismus angewiesen sei, nicht brüskieren wolle, indem man sich zu hartnäckig erkundige, ob bestimmte Aussagen freiwillig gemacht worden seien. Lord Bingham sagte, dieses Argument beeindrucke ihn nicht im Geringsten. Seit 500 Jahren werde Folter in der englischen Rechtsprechung mit Abscheu betrachtet, fügte er hinzu.

Innenminister Charles Clarke sagte gestern: „Wir akzeptieren dieses Urteil. Es hat keinen Einfluss auf die Bemühungen der Regierung, den Terrorismus zu bekämpfen.“ Rechtsanwalt Keir Starmer, der vor Gericht 14 Menschenrechtsorganisationen vertrat, feierte die Entscheidung der Lordrichter als „wichtigstes Urteil in der Welt der Folter“. Dadurch sei sichergestellt, dass „die Früchte der US-Politik, Verdächtige zum Verhör ins Ausland zu fliegen, vor britischen Gerichten niemals zulässig“ sein werden.

Menzies Campbell, außenpolitischer Sprecher der Liberalen Demokraten, sprach von einem Meilenstein in der Rechtsprechung. „Vor dem Hintergrund der Verschleppung Verdächtiger zu Verhören ins Ausland bedeutet dieses Urteil eine Rückkehr zum Rechtsstaat“, sagte er.

Ein Sprecher des Innenministeriums entdeckte jedoch ein Hintertürchen in dem Urteil: Man müsse nicht zweifelsfrei nachweisen, dass Aussagen nicht unter Folter zustande gekommen seien, sondern lediglich zeigen, dass man „die Quellen der Beweise so gründlich wie möglich untersucht“ habe, sagte er erfreut. Darüber hinaus beziehe sich das Urteil ausdrücklich nur auf Folter und nicht umfassender auf „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“.

RALF SOTSCHECK