Aus dem Kohlenkeller geborgen

GESCHICHTE Die Ausstellung „Verfemt, verfolgt – vergessen?“ im Ephraimpalais erzählt von den drangsalierten Künstlern aus der Zeit des Nationalsozialismus

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Den „Sieger“ malte Georg Netzband 1939 im Geräteschuppen seines Schrebergartens in Berlin. Auf einer Leinwand, die schnell trocknen konnte und bald zusammengerollt in einer Blechkiste unter den Kohlen im Keller versteckt wurde. Andere Bilder vergrub er unter den Erdbeerbeeten. Denn Netzband, der schon Ausstellungsverbot hatte und wiederholt zu Verhören über seine politische Gesinnung einbestellt worden war, wusste ziemlich genau, mit welchen Motiven er sich nicht von den Spitzeln der Nationalsozialisten erwischen lassen durfte.

„Der Sieger“ gehörte ganz sicher dazu: Es ist ein triumphierender Tod, gehüllt in einen Uniformmantel, der in preußisch stolzer Haltung, das Kinn hochgereckt, auf einem Berg von Leichen steht. Hinter ihm zeichnet sich vor dem türkisfarbenen Himmel die Silhouette einer zerstörten Stadt ab. Vermutlich Berlin, darauf lässt das Gerüst des Funkturms schließen.

Versammlung der Ausgegrenzten

Netzbands Vision von der Niederlage im Krieg ist Teil der Ausstellung „Verfemt, verfolgt – vergessen?“ im Ephraimpalais, die sich vielen, heute kaum noch bekannten Künstlern widmet, die von den Ausgrenzungskampagnen der Nationalsozialisten betroffen waren. Ausgestellt sind auch jene Bilder, die Netzband Ende der 30er Jahre in seinem Atelier in Tempelhof malte: Liebevolle Illustrationen vom Café Kranzler, von drallen, herausgeputzten Mädchen, von beleuchteten Vitrinen und Schaufenstern am Kudamm. Nichts mehr in dem sanften Stil lässt die einstige Erregung ahnen, die der Maler und Kunsterzieher Netzband aus der Begegnung mit den Expressionisten gezogen hatte. Dennoch wurde auch er von den Kunstkontrolleuren der Nationalsozialisten zu den „entarteten“ Künstler gezählt, Werke von ihm wurden beschlagnahmt.

Seine Geschichte erzählt sein Sohn Karl-Bernhard Netzband im 500 Seiten starken Katalog „Entdeckte Moderne“. Alle Werke im Ephraimpalais und im Katalog stammen aus der Sammlung von Gerhard Schneider, ehemals Philosophie-Lehrer und Antiquar, der Mitte der 80er Jahre nach jenen Künstlern zu suchen begann, die es nach 1945 nicht mehr zurückgeschafft hatten in die öffentliche Aufmerksamkeit und den Kanon der Kunstgeschichte. Die Rede ist von einer sogenannten verschollenen Generation, die etwas später als die bekannten Heroen der Moderne wie Otto Dix, Max Beckmann, Hannah Höch oder die Künstler der „Brücke“ und vom „Blauen Reiter“ die Bühne der Kunst betreten hatten und der Diffamierung zum Opfer fielen, noch bevor sie sich einen Namen gemacht hatten. 400 Künstler umfasst die Sammlung Schneider heute, für 180 von ihnen ist die Beschlagnahmung einiger Werke in den NS-Säuberungsaktionen nachgewiesen. Vieles vernichtete auch der Krieg.

Über 130 Künstler umfasst die dicht gehängte Ausstellung, mit kurzen biografischen Daten zu den einzelnen Künstler. Darunter findet man auch Maler wie Walter Jacob, den seine Mitgliedschaft in der NSDAP nicht vor der Beschlagnahmung sicherte, oder Franz Markau, der seinen Stil allmählich den Nationalsozialisten anpasste und seine Professur in Erfurt behalten konnte. Die Ausstellung erzählt nicht nur von widerständigen Künstlern, sondern auch von Ambivalenzen und Zwiespalt.

Versteckt in Theresienstadt

Anpassung, innere Emigration, der Weg ins Exil – diesen Strategien stehen die Geschichten jener Künstler gegenüber, die keine Wahl hatten, deportiert und ermordet wurden. Von Überlebenden der Konzentrationslager zeigt die Ausstellung beeindruckende grafische Zyklen: Leo Haas, der später als Zeichner für das Neue Deutschland und den Eulenspiegel in der DDR tätig war, hatte selbst im Lager Theresienstadt noch gezeichnet und die Blätter versteckt. Danach entstanden ab 1947 dunkle Radierungen über das Leben und Sterben in den Lagern.

Selbst wenn man von einigen der Künstler schon mal Arbeiten gesehen hat, wie von Otto Nagel oder Hans und Lea Grundig, so erstaunt doch, wie viele fast vergessen blieben. Das lag auch am Kalten Krieg in der Kunst, der gegensätzlichen Neubewertung der Vergangenheit in Ost- und Westdeutschland. Aber auch daran, dass die Kunstsprachen der Zwischenkriegszeit teils nicht mehr das Aufbruchspotenzial der frühen Moderne ausstrahlten und im Vergleich damit weniger erregend wirkten.

Auch das ließ die Generation, der Schneider jetzt zu mehr Anerkennung verhelfen will, in Vergessenheit geraten. Trotzdem birgt die Ausstellung viele sehenswerte Bilder und Grafiken. Maskenhaft erstarrt und mit breiten Pinselstrichen hingehauen sind die Gesichter, die „Die Irre im Luftschutzkeller“ umgeben, die Eduard Hopf 1943 malte. Dass die Schrecklichkeit des Krieges darzustellen, immer wieder ein riskantes Unternehmen war, geht vielfach aus den Biografien der Künstler hervor. Auch Willibald Krain, der schon 1916 einen symbolistisch-expressiven Antikriegszyklus von Farblithografien geschaffen hatte, konnte diese Mappe in keiner der Länder, die am 1. Weltkrieg beteiligt drucken lassen. Unter dem Titel „Frauen“ zeigt er ein Feld voller gekreuzigter Frauen, „Die Fahnen“ werden symbolisiert durch Erhängte, die aus den Fenstern anstelle der nationalstolzen Fahnen hängen.

Die vernichtenden Urteile der Nazis trafen dabei nicht nur explizit kritische oder ästhetisch wagemutige Künstler. Als „degeneriert“ galt oft allein schon die Vermittlung einer urbanen Szenerie, bevölkert von exzentrischen, freizügigen und auch verrückten Charakteren, wie sie in schönen Lithografien von Max Schwimmer zu sehen sind.

Es ist oft geradezu das Harmlose der ausgesonderten und in ihrer Arbeit behinderten Künstler, das rückblickend noch einmal die Ignoranz der nationalsozialistischen Kunstdoktrin und den Schrecken ihrer Umsetzung deutlich macht. Auf der sicheren Seite war nicht einmal, wer sich auf Dorfszenen, Landschaften und Kühe konzentrierte.

■ Im Ephraimpalais, Di., Do.–So. 10–18 Uhr, Mi. 12–20 Uhr, bis 28. Juli. Der Katalog „Entdeckte Moderne“ kostet 39 Euro