: „Wie in einer antiken Tragödie“
BELGRAD-KRIMI Der Roman „Kornblumenblau“ des deutsch-serbischen Autorenduos Jelena Volic und Christian Schünemann verhandelt einen realen Mordfall, der bis heute nicht aufgeklärt ist. Ein Treffen in Berlin
VON SONJA VOGEL
Am 5. Oktober 2004 wurden zwei Ehrengardisten tot auf dem Gelände der Belgrader Kaserne im Topcider-Park aufgefunden. Suizid, hieß es. Aber bald stießen Experten auf Ungereimtheiten. Der Fall wurde zum Politikum. Mussten die Soldaten sterben, weil sie den untergetauchten Kriegsverbrecher Ratko Mladic in der Kaserne gesehen hatten?
Auf diesem realen Mordfall basiert „Kornblumenblau. Ein Fall für Milena Lukin“, der Erstling des Schreibduos Christian Schünemann und Jelena Volic, der gerade erschienen ist. Ein guter Stoff für einen Krimi. „Kornblumenblau“ ist der Auftakt zu einer dreiteiligen Serie, die in einem Serbien spielt, das noch nicht aus dem Schatten der nationalistischen Bürgerkriege herausgetreten ist.
Mord mit Symbolcharakter
Serbien ist an diesem winterlichen Frühlingstag in Berlin weit entfernt. Jelena Volic sitzt mit Christian Schünemann an einem kleinen Tisch im Café am Savignyplatz und streicht Brotkrümel von der Stoffdecke. Für sie hat der vertuschte Mord Symbolcharakter. „Wie eine antike Tragödie“, sagt sie. „Wenn die Söhne vor den Vätern sterben, gibt es keinen Fortschritt mehr. Nichts.“ Dass Mladic mittlerweile gefasst ist und der Mord demnächst vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verhandelt werden wird, ändert daran nichts.
Die beiden Autoren sitzen oft so zusammen und reden, hier in Charlottenburg, Schünemanns altem Kiez. Oder in Belgrad, wo Volic mit ihrem Sohn lebt und Neuere deutsche Literatur und Deutsche Kulturgeschichte lehrt. Wenn sie spricht, tut sie das so energisch, dass die dunklen Ohrringe wippen. Sie hat kaum Zeit, das Stück Brötchen zu kauen, von dem sie eben abgebissen hat.
„Jetzt doziere ich schon wieder!“, ruft sie und fasst Schünemann entschuldigend an die Schulter. Der lacht da bloß. Fotos, die sie bei seiner Recherchereise nach Belgrad gemacht haben, zeigten allesamt Volic, wie sie auf ihn einrede, behauptet er.
Dass Jelena Volic und Christian Schünemann gemeinsam schreiben, ist eine fixe Idee, beinahe so alt wie ihre Freundschaft. Die begann vor 25 Jahren in einem überfüllten Russischkurs. Nach Stationen in Italien und Holland hatte es Volic nach Münster verschlagen. Schünemann studierte dort Slawistik.
Er war beeindruckt von der Frau, die als Einzige einen Satz so sagen konnte, dass er russisch klang. Seither sind beide unzertrennlich: der schmale Mann mit der dunkelblonden Haartolle und die resolute Frau mit den tiefen Grübchen. Aber erst als Christian Schünemann, Autor mehrerer erfolgreicher Kriminalromane, das Grenzgängerstipendium der Robert-Bosch-Stiftung erhielt, wurde die Zusammenarbeit konkret.
2010 recherchierte er vier Monate lang in der serbischen Hauptstadt, spazierte durch die Altstadt und sozialistische Plattenbausiedlungen, schaute von der römischen Stadtfestung Kalemegdan hinunter auf die Donau und inspizierte die 1999 von der Nato bombardierte serbische Rundfunkanstalt, deren zerstörte Fassade den Blick in die verwaisten Büros freigibt, als schaute man in ein Puppenhaus. Es sind die Wunden einer schmerzhaften Vergangenheit, die das serbische Establishment mühsam offen hält.
Auf einer seiner Touren wurde Schünemann festgenommen, weil er Fotos von der US-Botschaft machte. Die SMS aus der Polizeiwache hielt Volic damals für einen Scherz. Heute müssen beide darüber lachen. Für Schünemann war es Teil der Recherche, für Volic aber ein kleiner Schock. Auch die Kaserne, in der der Doppelmord geschah, hatten beide durch den Sicherheitszaun dokumentiert. Nicht ungefährlich.
Wer schon einmal in Belgrad war, wird in dem auf diese Weise akribisch recherchierten Roman vieles wiedererkennen. Die postsozialistische Metropole, das Vuk-Karadcic-Denkmal am verlassenen Metrobahnhof, das Hotel Moskva, den löslichen Kaffee, die Parallelgesellschaft der ausländischen Diplomatie.
Eine alte Bekannte
Beim Lesen ist es, als begegne man einer alten Bekannten wieder, stellt überrascht fest, wie sehr man sie vermisst hat. So liebevoll tasten Schünemann und Volic die vernarbte Oberfläche der Stadt ab und bleiben doch angenehm auf Distanz. Für Schünemann war die Stadt fremd, die für Volic – seit es Jugoslawien nicht mehr gibt – Heimat ist. „Mein Gefühl von Belgrad durch seine Brille“, beschreibt die gebürtige Belgraderin die Kombination aus Nähe und Distanz. Schünemann hat den Abstand. Volic indes liebt diese Stadt trotz allem, wie man es eben mit einem Familienmitglied tut, „bedingungslos und unkritisch“.
Immer wieder hatte sie, wie so viele ihrer Generation, die Vergangenheit eingeholt. Die räumliche Distanz änderte daran nichts. 1993, als die ersten Flüchtlinge aus dem umkämpften Bosnien nach Deutschland kamen, studierte sie noch in Münster. Volic flüchtete sich in Aktionismus. Zum Trost. Anders als den Deutschen ging ihr als serbokroatische Muttersprachlerin alles direkt unter die Haut. „Wir hatten keine Filter“, erinnert sie sich. In hilfloser Wut gab sie ihre jugoslawische Staatsangehörigkeit ab. Auch hierbei begleitete Schünemann sie. Bis heute fühlt sich Volic in Belgrad und Berlin zu Hause, jedoch nicht in Serbien.
In jenen zwei Jahren, in denen „Kornblumenblau“ entstand, reiste Schünemann immer wieder nach Belgrad. Da saß er mit Laptop am Küchentisch der Freundin und schrieb mit. Doch es funktioniert auch andersherum. „Wir erzählen uns Geschichten“, sagt Volic. „Wenn Christian beeindruckt ist, sagt er: Hau mal in die Tasten!“ Und das tut Volic dann. Ihre langen Texte – „Salat“ nennt sie das – schickt sie an Schünemann. Der fasst sie zusammen. Einfach so. Volic staunt jedes Mal darüber.
Dann kommt die Feinarbeit. Über Monate. Unzählige SMS werden gewechselt. „Was wird gekocht?“, fragt Schünemann in Berlin, und Volic antwortet 1.000 Kilometer östlich: „Mais“. Sie erklärt, wie man den zubereiten könnte. Und so geht es immer weiter. Was soll die Ermittlerin Milena Lukin ihrer Tante Borka aus Berlin mitbringen? „Fußkeile“. Am Ende steht der fertige Text. Wie genau das funktioniert? Es funktioniert. „Wir sind Schünemann/Volic“, sagt Volic und zuckt mit den Achseln. „Wir sind zusammengewachsen.“
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass kurz nach Beendigung der Recherche Ratko Mladic tatsächlich gefasst wurde. Im Roman wird lediglich von einem „General“ gesprochen. Anders als in der Realität hat dort das Netzwerk von Polizei, Justiz und Paramilitärs, die im Schatten der regulären Armee die Bürgerkriege überdauerten, keine Lücken. Trotz der Politik ist „Kornblumenblau“ leicht und flüssig zu lesen. Sehr unterhaltsam.
Das nächste Buch wird vom Kosovo handeln – ebenfalls ein in Serbien heikles Thema. Übersetzungen ins Serbische kommen erst mal nicht infrage. „Das Risiko brauchen wir nicht einzugehen“, sagt Schünemann mit Blick auf Volic. Die schließlich in Belgrad lebt und arbeitet.
■ Schünemann & Volic: „Kornblumenblau. Ein Fall für Milena Lukin“. Diogenes Verlag, Zürich 2013, 368 Seiten, 19,80 Euro