: Aus der Rolle gefallen
Der uninspirierte Start der neuen Regierung wird überschattet vom würdelosen Abgang der alten: Das ehemalige rot-grüne Spitzentrio Schröder, Fischer & Schily demontiert sich nachträglich selbst
VON ROBIN ALEXANDER
Wenn Politik tatsächlich ein Theater ist, dann sitzen wir gerade in einem fürchterlichen Stück: Mineralwasser zeigen uns Merkel und Müntefering, wenn sie Nüchternheit meinen. Herabhängende Mundwinkel sollen als Ausweis einer neuen Ernsthaftigkeit gelten. Technokratenjargon soll Arbeit signalisieren.
Das ist schlicht und öd und freudlos und mag zu Merkel und Müntefering passen, aber die eigentlich Verantwortlichen sind weder die Pastorentochter noch der Spröde aus dem Sauerland. Sondern wir – das Publikum. Es muss ein ungeheures Bedürfnis geben in Deutschland nach uneitlem Staatsschauspiel und nach verlässlichen, ja langweiligen Staatsschauspielern. Positiv gewendet könnte man nach einer Art Sehnsucht nach sittlichem Ernst sprechen. Kurz: Es wird das Gegenprogramm zu Rot-Grün gesucht.
Und wie zur Illustration – oder fast zur Karikatur – bestätigen Schröder, Fischer und Co. in ihrem Abgang noch einmal alle Vorurteile, die von den Konservativen gegen sie gehegt wurden: Bei ihrem Abgang von der Macht erscheinen die angekommenen 68er eitel, selbstbezogen, und – ohne festes Wertesystem – flatterhaft. Diese charakterlichen Kategorien sind selbstverständlich zu schlicht, um das komplexe System Politik zu beschreiben. Dennoch: Mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit wird das rot-grüne Projekt nachträglich unmöglich gemacht – und das auf offener Bühne.
Ganz vorne ist natürlich Gerhard Schröder. Vielleicht hätte man demokratischen Stil bei einem Politiker nicht erwarten sollen, der, als er eine Mehrheit hatte, im Parlament behauptete, er habe keine – und als er keine mehr hatte, im Fernsehen behauptete, er habe eine. Doch auch nach seiner Abwahl beschädigt Schröder die Demokratie. Man muss seinen Plan, Aufsichtsratschef beim Gazprom-Pipeline-Projekt zu werden, noch einmal aufschreiben, so ungeheuerlich ist er: Putin hat die Entwicklung Russlands zu einer Demokratie abgebrochen und drängt zurück zu Diktatur und Rechtlosigkeit. Diese Diktatur begeht in Tschetschenien einen Völkermord. Diesen hat Schröder als Kanzler immer verharmlost. Seine Unterstützung für die ökologisch und ökonomisch unsinnige Ostsee-Pipeline gefährdet die Aussöhnung mit unserem Nachbarn Polen, um das die Pipeline bewusst herumgebaut wird. Und nach alldem lässt sich Schröder tatsächlich an die Spitze des Aufsichtsrates eines Unternehmens setzten, das über die Mehrheitsbeteiligung eines russischen Staatskonzerns direkt vom Kreml gelenkt wird!
Angesichts Schröders Abgang gesteht man – staunend über sich selbst – sogar eine Sehnsucht nach Helmut Kohl ein: Dieser versuchte seine schwarzen Kassen wenigstens unter einem Mantel von Biederkeit und Kleinbürgerwerten zu verbergen. Es brauchte erst den Machtverfall nach Abwahl, um das System Kohl zu offenbaren. Bei Schröder fehlt sogar der Mantel.
Der würdelose Abgang scheint nicht allein aus der Person Schröder erklärbar. Auch zwei weitere rot-grüne Darsteller demontieren ihre Rolle, im Moment, in dem sie abgelegt wird. Da ist einmal Joschka Fischer, der sieben Jahre lang Wichtigkeit und Verantwortung darstellte und sich jetzt mit Hochzeiten, Verabschiedungen und offenem Hemdkragen in der paradoxen Rolle des öffentlichen Privatmanns versucht. Das ist in seiner Unernsthaftigkeit durchaus niedlich. Eine Sehnsucht nach Fischers Vorgänger Klaus Kinkel verspürt wohl niemand.
Fischers Eitelkeiten wurden schon in der Regierung übertroffen von Otto Schily: Keinen Geringeren als den Staat selbst meinte der Innenminister grimmig und prinzipienfest darstellen zu müssen. Auch beim Abgang stellt Schily alle – außer den Kanzler – in den Schatten. Ausgerechnet Mister Rechtsstaat muss sich jetzt gegen den Vorwurf rechtfertigen, zu Entführung und Folter geschwiegen zu haben. Noch kann Schily durch Aufklärung seinen Ruf und den seiner Regierung retten. Es darf nicht so weit kommen, dass wir uns sogar nach Manfred Kanther zurücksehnen.