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Archiv-Artikel

In die Akte gelaufen

Wieder mal gerät ein Parteitag der Linkspartei.PDS in die Fänge des DDR-Geheimdienstes

AUS DRESDEN JENS KÖNIG

Die böse CIA, der Neoliberalismus, die Arbeitgeberkanzlerin Angela Merkel, der Hartz-IV-Verfechter Matthias Platzeck – all das ist plötzlich Lichtjahre entfernt. Bernhard Walther, 47 Jahre alt, ein zurückhaltender, schüchterner Steuerberater, wird gerade gefragt, was in seiner IM-Akte steht.

Walther bewirbt sich um das Amt des Schatzmeisters der Partei, in seiner kurzen Vorstellungsrede eben hat er pflichtgemäß darauf hingewiesen, dass er in den 80er-Jahren eine Verpflichtungserklärung als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit unterschrieben hatte. Einige Delegierte wollen es genauer wissen. Aber Walther überhört das mit der IM-Akte einfach. Da geht ein Genosse aus Oldenburg ans Mikro. „Lieber Bernhard“, sagt er, „du hast meine Frage nicht beantwortet. Was hast du als IM gemacht, und was steht dazu in deiner Akte?“ Der liebe Bernhard druckst herum. Er wisse nicht, was in seiner Akte steht, weil er sie nie beantragt habe. Aber seine IM-Tätigkeit stehe im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit in dem Außenhandelsbetrieb Sket Export-Import, er habe der Stasi nur über dienstliche Dinge berichtet. Mehr habe er nicht zu sagen.

Gysi und Lafontaine rücken nervös auf ihren Stühlen herum. Sie sind Profis, sie ahnen, was jetzt kommt. Ellen Brombacher, eine beinharte Kommunistin, die schon in der DDR als Pioniervorsitzende und Berliner FDJ-Chefin intellektuell geglänzt hat, springt auf. „Es ist ja wohl allgemein bekannt, dass die DDR bekämpft worden ist“, ruft sie erregt. „Ohne ein Ministerium für Staatssicherheit wird es also nicht gegangen sein. Diese Befragung des Genossen Walther eben hatte richtig inquisitorische Züge. Wir sollten damit aufhören.“ Obwohl die Kommunistische Plattform nur noch ein versprengter Haufen innerhalb der Linkspartei.PDS ist, bekommt Brombacher für ihren Ausbruch viel Beifall.

Jetzt hält es Christiane Reymann nicht mehr auf ihrem Platz. „Es ist unmöglich, dass hier für Fragen Zensuren verteilt werden“, sagt sie. Reymann gehört zu den Gründungsmitgliedern der West-PDS. Sie erinnert an den Parteibeschluss von 1991, wonach jeder Genosse offen legen muss, ob und in welcher Form er für die Stasi gearbeitet hat. Sie beantragt, die Befragung von Walther fortzusetzen. Der Antrag wird abgelehnt. Während der Wahlgang läuft, stecken Gysi, Lafontaine und Bisky im Präsidium die Köpfe zusammen.

Die PDS, die hier auf ihrem Parteitag in Dresden gemeinsam mit den Genossen der WASG in eine lichte Zukunft aufbrechen wollte, ist in die Fänge des DDR-Geheimdienstes geraten, wieder einmal. Es ist ihr mindestens fünfhundertster Stasi-Fall – aber der erste der noch nicht gegründeten, quasi jedoch schon existenten neuen Linkspartei. Jetzt müssen sich auch bayerische Gewerkschafter damit herumschlagen, die von der Stasi und dem schwierigen Umgang mit ihr genauso viel Ahnung haben wie von der Abwasserversorgung von Mexiko-Stadt.

Die Genossen der WASG können jetzt eine Menge über ihre neuen Freunde von der PDS lernen. Bernhard Walther wird mit über 68 Prozent der Stimmen zum Schatzmeister gewählt. Walther geht ans Mikro und sagt ein paar auswendig gelernte Sätze. Er habe die Vorbehalte gegen seine Person vernommen. Er nehme das Amt an, lasse es aber so lange ruhen, bis seine Stasi-Akte vorliege und er sie gemeinsam mit dem Parteivorstand bewertet habe.

Die Journalisten haben ihr Thema gefunden. Stasi und IM, da funktionieren die Reflexe immer noch wie 1990. Die Stunden zuvor war der Parteitag routiniert vor sich hin geplätschert. Parteichef Lothar Bisky hatte seine Partei aufgefordert, bei allem Bekenntnis zur Opposition die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht für alle Zeiten der CDU zu überlassen. Fraktionschef Gregor Gysi hatte mit Blick auf 1989 den historischen Erfolg der Linkspartei bei der Bundestagswahl 2005 beschworen und für den Fusionsprozess mit der WASG geworben. Und WASG-Mitglied Oskar Lafontaine hatte als Gastredner die Regierungsbeteiligungen der PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern verteidigt, weil demokratischer Sozialist zu sein nicht etwa bedeute, „sich der Verantwortung zu verweigern“.

Aber jetzt scheint nur noch wichtig, den Stasi-Fall des vollkommen unbekannten Bernhard Walther zu rekonstruieren. Dabei ist die Vergangenheit des PDS-Schatzmeisters im Normalfall so interessant wie die Frage, ob der CDU-Kreisvorsitzende von Wanne-Eickel übergewichtig ist. Jetzt kommt heraus, dass selbst Bisky erst vor vier Wochen seinen neuen Schatzmeister kennen gelernt hat. Als er erfuhr, dass Walther IM war, befragte er ihn in einem persönlichen Gespräch ausführlich. Für Bisky zählt in solchen Fällen die Wahrheit des Betroffenen mehr als das, was in einer Akte steht. Der Parteichef hatte keine Bedenken gegen Walther.

So ließ er den Schatzmeister ins Unglück laufen. Die Stasi-Akte, die Bisky pro forma bei der Birthler-Behörde beantragt hatte, war bis zum Parteitag nicht eingetroffen. So stand Walther auf der großen Bühne des Parteitags, war überfordert und sagte zu seiner Vergangenheit, die er selbst am besten kennt – nichts. Weil er ahnt, was in der Akte steht?

Gysi und Lafontaine hatten die Notbremse gezogen. Sie waren es, die darauf gedrängt hatten, dass Walther bis zur Klärung der Fakten sein neues Amt ruhen lässt. Doch da war es schon zu spät. Die schöne, neue Linkspartei hatte ihren ersten Eklat.