: Heimreise einer Inkarnation
Hippen empfiehlt „Dolpo Tulku – Rückkehr in den Himalaya“ von Martin Hoffmann erzählt vom Leben in einer tibetischen Enklave
Von Wilfried Hippen
Er selber scheint nicht so recht daran zu glauben, dass ausgerechnet er die Inkarnation eines religiösen Führers ist. Der 26-jährige Dolpo Tulku, geboren als der Hirtenjunge Sherap Sangpo, geht überraschend pragmatisch mit seiner eigenen Heiligkeit um: „Dass ich der Tulku bin, wird mir oft erst bewusst, wenn sich mir die Aufgaben eines Tulkus stellen. Manchmal denke ich, das übersteigt meine Kräfte. Aber selbst wenn ich tatsächlich nicht die Fähigkeiten hätte, habe ich trotzdem den Titel und muss die Aufgabe erfüllen.“
So menschlich und zugänglich wie hier wird der tibetische Buddhismus selten in einer Dokumentation gezeigt. Der Dalai Lama mit seinem immensen Charisma und Charme sowie das schwere Schicksal der Tibeter unter der chinesischen Besatzung prägen so prägnant das Image von dieser Kultur, dass ein eventuell tieferer und genauerer Blick um sie herum meist kaum möglich ist. Deswegen ist „Dolpo Tulku“ trotz der großen Schwemme von Filmen über das Leben von Mönchen im Himalaya (in Nepal sind die Kamerateams fast so alltäglich wie die Bergsteiger) etwas besonderes. Oft bekommt man einen besseren Blick auf das Wesentliche, wenn man sich ihm auf einem Seitenweg nähert.
So wird im Dolpo nichts Weltbewegendes passieren. Das Seitental im Nordwesten von Nepal ist so abgeschieden und vergessen, dass es dort keine Straßen, keine Elektrizität, kein Telefon und kein Krankenhaus gibt. Das Leben der tibetischsprachigen Einwohner ist hart und die Säuglingssterblichkeit erschütternd hoch. Doch weil alles so armselig ist, werden die Menschen dort von allen in Ruhe gelassen, und so konnte sich im Dolpo die traditionelle Lebensweise ungestört halten. Dazu gehört, dass ein Tulku sowohl über die religiösen wie auch die weltlichen Belange der Bevölkerung wacht. Zugegeben kein besonders demokratisches System – vor allem,wenn man bedenkt, dass der Titel jeweils von Reinkarnation zu Reinkarnation weiter- und wiedergeboren wird. Solch ein Wechsel braucht natürlich seine Zeit, und so war das Dolpo 17 Jahre lang ohne Herrscher, denn so lange brauchte der neue Tulku für seine Ausbildung in einem indischen Kloster. Der Film begleitet ihn nun auf der Wanderung zurück in seine Heimat, aus der er als 10-Jähriger heimlich abgehauen ist.
Diese und viele andere Episoden aus seinem Leben erzählt er sehr offenherzig und überhaupt nicht abgehoben direkt in die Kamera des übrigens in Bremen geborenen Thomas Henkel hinein. Man kann zwar darüber streiten, ob der Regisseur Martin Hoffmann gut damit beraten war, statt einer Erzählstimme die vielen auf die Dauer ermüdenden Zwischen- und Untertiteln einzusetzen. Aber so werden auch einmal einige der ständig geraunten Gebete übersetzt, und diese sind zum Teil so einleuchtend und lakonisch wie dieses: „Mögen alle negativen Taten unvollendet bleiben.“
Das Kamerateam folgte dem Tulku auf seiner achtwöchigen Wanderung hoch ins und durch das heimatliche Tal, und weil die Heimkehr ihres religiösen Führers die Bevölkerung so bewegte, fielen die paar Europäer mit ihren Apparaten am Rande kaum weiter ins Gewicht. So durften sie in die Töpfe und in die Stuben der Menschen gucken und so wird hier ganz nebenbei auch eine im Grunde noch mittelalterliche Lebensart dokumentiert. Hoffmann hat dabei den immer neugierigen Blick eines guten Filmemachers, und dass der Film auch voller beeindruckender Landschaftsaufnahmen ist, versteht sich von selbst. Aber einige Einstellungen sind wirklich inspiriert. Und ein Bild von den Mönchen, die eine steile Felsenwand überqueren, könnte auch Werner Herzog neidisch werden lassen.