Abwaschbare architektonische Moderne

FOTOGRAFIE Andreas Magdanz untersucht die Dienst- und Kasernenräume der Macht, die Architektur der Disziplin – jetzt da das Hochsicherheitsgefängnis Stammheim, das nächstes Jahr abgerissen werden soll

Holz wurde nur in der Kapelle verbaut. RAF-Mitglieder waren vom Gottesdienst ausgeschlossen

VON LENNART LABERENZ

Das erste Bild, sperriger Titel, „Ansicht_Süd_Bau I_kurzer Flügel_Schlafzimmer Pflugfelder 19“: Ein Betonklotz hinter Mauern, die Fenster in vertikale Gauben gefasst, sie blicken im Winkel weg. Später sehen wir: Gitter aus dem Inneren setzen sich durch Fliesenfugen außen fort, die Gauben verraten die Nummer. Das erleichtert den Zugriff, falls es Ärger gibt. Die Fenster sind so gebaut, damit nichts ausgetauscht werden kann zwischen den Zellen und den Häftlingen. Ansicht_Süd zeigt: Auch im modernen Kleid ist Architektur ein Kontrollorgan, Ausdruck von Hegels „gewältigendem Staat“.

„Stammheim“ heißt die neue Monochrom-Arbeit von Andreas Magdanz, der schon mit „Dienststelle Marienthal“ (2000), „BND-Standort Pullach“ (2005) und „Vogelsang“ (2008) Dienst- und Kasernenräume der Macht, die Architekturen der Disziplin untersucht hat.

Die JVA Stuttgart-Stammheim: Knapp vier Jahre Bauzeit, 1964 als Einrichtung mit allen modernen Ideen des Haftvollzugs eröffnet, heute 877 Haftplätze. Bekannt wurde sie als der Ort, an dem der ersten Generation der RAF der Prozess gemacht wurde. Stammheim wurde Ausdruck eines Staates, der es mit der Angst bekam, der sich Gesetze für einen Prozess über Nacht zusammenzimmerte, der sich unbeholfen, hastig und fernab von aller Gelassenheit ein Problem vom Hals schaffen wollte. Und es damit noch verschlimmerte.

Magdanz spürt systematisch und streng in Eingeweiden und an Oberflächen nach einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Das lässt die Arbeiten kalt erscheinen, weil sie einen kalten Staat zeigen, oder Orte, an denen der Staat kalt sein will. In Stammheim verwuchs, wie Michael Sontheimer schreibt, Gericht und Gefängnis „zu einer baulichen Einheit“.

Es gibt immer zwei Perspektiven: Der Sessel im Besucherzimmer mit dem groben Baumwollbezug ist fest im Boden verschraubt. Im siebten Stock schlug Gudrun Ensslin mit einer hölzernen Klobürste heftig auf den Kopf einer Angestellten, die ihr Essen servierte. Ensslin beschwerte sich über den Faschismus des Staates, die Angestellte über eine Platzwunde. Die Sache mit dem Sessel ist vielleicht so: Es hat jemand vorher nachgedacht. Diese Details finden sich in jedem Bild. Stammheim ist ein so gestriegelter Ort der Strafverfolgung, dass alle Assoziationen irgendwann ins Klischee umkippen. Ums Eck liegt Zuffenhausen, hier wird automobile Wertarbeit gemacht. In Stammheim hat die Wertarbeit einen brutalen Geschmack.

Noch einmal, Ansicht_Süd, Magdanz’ Schlafzimmerblick: Links, das kurze Vordach der Nachbarn, plus Parabolantenne. Rechts die Balkone vom nächsten Wohnblock. Ein Stück Baum. Das Gefängnis kehrt uns den Rücken zu, die Dimensionen der Entmenschlichung liegen in Detail, wie eben Blicke, die gewährt werden, oder auch nicht.

Erst nach diesem ersten Bild montiert Magdanz einen Überblick auf eines der schwierigsten Kapitel bundesrepublikanischer Rechtsgeschichte. Aus einem Hubschrauber überschauen wir die JVA Stammheim. Was für ein Beginn.

Es folgt mehr und man kann sich versenken in die trockene, monochrome Welt: Magdanz geht durch alle Gebäude und relevanten Stockwerke. Wir blicken auf eine kahle Ausgabe der architektonischen Moderne – stark sicherheitsverstärkt. Eingangsschleusen, Küchen, Verwaltungsetagen: Details reiben immer wieder die Frage nach Drinnen und Draußen auf. In Plastik wurden die gleichen Türgriffe in unzähligen Schulen verbaut.

Manchmal, völlig überraschend, springen wir hinaus aus dem Ganzen, dem Komplex, wenn das nächste Bild den Blick aus blattlosen Baumkronen über Schrebergärten zeigt. Die Gartenanlage wächst bis an den Sicherheitszaun; über dem Kleinbürgertum wacht das feste Haus, in dem die Straftäter verwahrt werden.

Etwas durchzieht die Warteräume, die Verbindungsgänge, die Etagen mit den Zellen: Diese Oberflächen, die überall gleich sind. Was macht das mit einem, wenn alles, was man anfasst, totgefliest, mit Steinplatten kalt ausgelegt, mit lackiertem Metall umfasst ist? Wenn die aufgereihten Badewannen und vor allem die Beruhigungszimmer anzeigen, dass hier jemand alle Macht über nacktes Leben haben könnte? Alles ist abwaschbar, es bleiben keine Spuren. Das einzige Holz wurde offensichtlich in der Kapelle verbaut. RAF-Mitglieder waren vom Gottesdienst ausgeschlossen.

Die lebten ansonsten mit Fernsehern, Plattenspielern, Büchern und der Möglichkeit, sich zusammen einschließen zu lassen, das wohl privilegierteste Leben in einem Hochsicherheitsgefängnis. Die Zimmer waren zugemüllt. Die Angestellten der Justiz bekamen gewienerten Estrich, glatte Kacheln und Plastik der günstigen Sorte anzufassen.

In medias res gehen wir dann im siebten Stock, Bau I. Jetzt wird klar, dass wir schon vom ersten Bild an auf die Zellen von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe oder Ulrike Meinhof geblickt haben. Estrich, Glasbausteine, Eisentüren: All die Geräusche, die wir hören, all die verschrobene, ätzende Sprache, die autoritäre Weltsicht, die bellende Neurose, die sie links nannten – reine Projektion. Flure und Zellen sind leer, kahl und sauber. Die Gebäude sollen 2014 abgerissen werden.

Aus dem Stock, in dem der Staat wohl den Suizid der RAF-Ikonen duldete, geht es hinauf, in einen luftigen Raum unter dem Dach. Eine Tischtennisplatte steht hier, Bänke sind zwischen Stahlträger eingelassen, an den Seiten Gitter. Über die Dächer spannen Metallseile gegen Befreiungsaktionen aus der Luft, der Blick schweift über Felder. An den „deutschen Zuständen“ sei Ulrike Meinhof gestorben, sagte Klaus Wagenbach an ihrem offenen Grab. Magdanz schaut sie sich genau an.

■ Andreas Magdanz: „Stammheim“. Hatje Cantz Verlag 2012, 210 S., 98 SW-Abb., 49,80 Euro