Die Wahrheit: „Eine Herde wilder Pferde ..."

Zum Abschied des großen taz-Layouters Richard Noebel: Die schönsten Anekdoten über den unverwüstlichen Zeitungsgestalter.

Der dienstälteste Layouter der taz: Richard Noebel Bild: Isabel Lott

In diesen Tagen geht der dienstälteste Layouter der taz in den Ruhestand. Dieses feierliche Ereignis nimmt die Wahrheit zum Anlass, um die besten Anekdoten aus dem Leben des einzigartigen Richard Noebel zu erzählen.

Als junger Lyriker hielt sich Richard Noebel einmal als Stipendiat der Villa Massimo in Rom auf. Eines Nachmittags betrat während einer Unterredung mit dem Direktor ein komischer Kauz in Breeches das Zimmer. Sofort sprang der Direktor auf: „Darf ich vorstellen? Richard Noebel, Ernst Jünger.“ Darauf wendete Noebel sich launig an Jünger: „Sie habe ich mir älter vorgestellt!“ Jünger lachte herzlich und versetzte: „So jung kommen wir nicht mehr zusammen. Wollen wir nicht einen Champagner öffnen?“ Richard Noebel zögerte: „Ich trinke nicht vor Einbruch der Dunkelheit!“ Darauf erwiderte Ernst Jünger: „Dann lassen sie uns doch die Fensterläden schließen, meine Herren!“ Und so geschah es dann auch.

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Als Richard Noebel sieben Jahre alt wurde, gab es zu seinem Geburtstag Schwarzwälder Kirschtorte. Zum ersten Mal konnte er sich vorstellen, dort zu leben, wo dieser Kuchen gezüchtet wurde.

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Auf sein Leben nach der taz ist Richard Noebel gut vorbereitet: Seit 2013 ist er Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr Schmargendorf. Er hat zudem gelernt, Spitzendeckchen zu klöppeln.

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Es war ein anstrengender Tag bei dem Blatt, das Richard Noebel so lang schon am Herzen lag. Wegen der vielen wichtigen Nachrichten wurden mehrere Redaktionsschlüsse überschritten, erfahrene Redakteure mussten in die Nervenklinik eingeliefert werden, der Schriftleiter vom Dienst erlitt einen Schreikrampf. Nur Richard Noebel blieb ruhig und rauchte und layoutete. „Dafür bekommst du den Noebelpreis, Richard!“, rief die damalige Chefredakteurin erleichtert. Bald darauf wurde sie entlassen.

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Eines Tages lief Richard Noebel durch die Straßen seines geliebten Berliner Bezirks Kreuzberg und sah nicht nach links und nicht nach rechts. Deshalb war er auch völlig überrascht, als ein kleiner struppiger Streuner auf ihn zu tappelte und bellte: „Kaff, kaff, kaff …“ Ein strahlendes Lächeln zog über Noebels Gesicht, und er antwortete dem Straßenhund: „… auch Mare Crisium.“ Da trollte sich der Kläffer mit eingeknicktem Schwanz. Noebel aber sah dem davonstrunkelnden Vierbeiner noch lange nach und sinnierte, ob der Rüde doch eher auf Franz Kafka als auf Arno Schmidt anspielen wollte.

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Selten besuchte Richard Noebel die traditionellen Dachgartenfeste der Tageszeitung, bei der er seit 1979 beschäftigt war. Als er es einmal doch tat, gehörte er zu den letzten drei Gästen. Nachdem die altgedienten Mitstreiter Mathias Bröckers und Helmut Höge ihren letzten Joint ausgedrückt hatten, sagte Bröckers: „Richard, ich gehe jetzt. Soll ich dich mitnehmen?“ Richard Noebel winkte freundlich ab, stieg wortlos über die Brüstung auf eine tief vorbeitreibende Wolke und schwebte so gemächlich nach Hause. Später hat niemand Bröckers und Höge diese Geschichte geglaubt. Kein Wunder.

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Als Richard Noebel eines mildsonnigen Tages recht unvorbereitet an der Himmelspforte stand, war Petrus nicht da. Noebel guckte in die vorbeiziehenden Wolken, zählte die darauf grasenden Schäfchen, atmete frische Luft ein. Was tun? Noebel entnahm der Brusttasche seines letzten Hemdes einen kleinen roten Würfel mit goldenen Punkten. Würfelte er eine Eins, würde er noch mal würfeln und sich, ohne Ansehen der Augenzahl, Einlass an der Himmelspforte verschaffen. Gerade als Noebel – kurzsichtig, wie er war – sich die just gewürfelte Eins genauer besah, erschallte Petrus’ tiefe Stimme aus den Untiefen des Himmelszeltes: „Gott würfelt nicht!“

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Einmal hatte Richard Noebel am helllichten Tag einen seltsamen Traum: Ihm träumte, sein alter Kollege Jörg Kohn trage einen gepunkteten Poncho und betupfe sich die Zehennägel mit Parfüm. Verstört erzählte er der Gleichstellungsbeauftragten davon. Doch die reagierte schlagfertig: „Was du immer so träumst …“

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Einmal spazierte Richard Noebel gemächlich durch seinen Kiez, als er vor dem Schaufenster eines Gebrauchtwarenladens zu stehen kam. Dort fiel sein Blick auf das leicht vergilbte Cover einer Schallplatte der Sängerin Séverine. Gedankenverloren summte er „Eine Herde wilder Pferde ist nicht halb so wild wie ich“ vor sich hin und erinnerte sich an seine Schulzeit, während der man ihn „den wilden Richard“ genannt hatte. Als er nun so eine Weile gestanden und gesummt hatte, entschloss er sich endlich, die Schallplatte zu erwerben. Doch leider hatte das Geschäft inzwischen bereits geschlossen.

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Ein Haiku brachte die Wende in Richard Noebels Leben. Es lautet: „Fünf Eisbären in / sieben Jahren gesehen / und fünf Mal gelacht.“ Seit er eines Tages diese Verse verfasste, reitet er ein neues Steckenpferd, das sein Faible für die Verskunst beinahe überstrahlt: Er spielt Eishockey – als Torhüter.

Aufgezeichnet von: Arno Frank, Michael Ringel, Carola Rönneburg, Corinna Stegemann, Harriet Wolff

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