: 6 Männer auf einem Floß
ABENTEUER In „Kon-Tiki“ haben Joachim Ronning und Espen Sandberg die Expedition von Thor Heyerdahl verfilmt und dabei an dessen Mythos weitergezimmert
VON WILFRIED HIPPEN
Bei der diesjährigen Oscarverleihung hätte es ein verblüffendes Novum geben können. Zum ersten Mal hätten zwei Filme mit dem gleichen Titel prämiert werden können – mit mehr als 60 Jahren Abstand. Mit „Kon-Tiki“ war der bisher teuerste in Norwegen produzierte Film für den Oscar als der beste fremdsprachige Film nominiert und 1951 hatte die gleichnamige Dokumentation von Thor Heyerdahl den Preis gewonnen. In weiten Teilen ist der neue Film dann auch ein Remake des alten und beim direkten Vergleich kann man erkennen, wie sich die Regisseure Joachim Ronning und Espen Sandberg darum bemüht haben, die alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen zugleich authentisch, aber auch so farbig und monumental wie möglich nachzustellen.
Doch sie beginnen mit einer Szene, die wie die mythologische Geburt eines Helden wirkt. Ein kleiner Junge springt da furchtlos über Eisschollen, rutscht dabei ab und ertrinkt beinahe. Nach der Rettung durch seinen besten Freund verlangen seine Eltern, dass er verspricht, sich nie wieder in solche eine Gefahr zu begeben, aber der kleine Thor schweigt bockig. Es folgt eine von jenen typischen Überblendungen vom Kind zu Mann – und filmisch reizvoll vom norwegischen Eis in die Südsee. Dort macht Heyerdahl als junger Wissenschaftler Studien über die polynesischen Stammeskulturen und ist dabei fasziniert vom Ursprungsmythos um den großen Tiki, der als erster Mensch vom Westen her auf die Inseln gekommen sein soll. Der junge Mann lebt zusammen mit seiner schönen Frau in einer paradiesischen Idylle, doch er ist unruhig, und wir erkennen den verwegenen Blick des Jungen auf der Eisscholle wieder.
Mit diesem dramaturgisch simplen, doch wirkungsvollen Prolog haben sich die Filmemacher einen Helden gebastelt, und Pal Sverre Valheim Hagen verkörpert ihn entsprechend potent und unerschütterlich. Es wäre wohl schwierig bis unmöglich gewesen, diese Geschichte aus einer anderen, komplexeren Perspektive zu erzählen. Thor Heyerdahl ist einer der ungebrochenen realen Helden des 20. Jahrhunderts – und dies auch, weil er sich selber geschickt vermarktet hat und so seinen eigenen Mythos schreiben konnte. Interessant ist der Film immer dann, wenn er von dieser Mythenbildung erzählt, deren neuste Ausformung er ja selber ist. Alle Akademiker lachen über die unorthodoxen Thesen des jungen Abenteuers – jeder weiß doch, dass Polynesien von Asien aus besiedelt wurde. Und Heyerdahl erkennt früh, dass er eine spektakuläre Tat und eine gute Geschichte braucht, um gehört zu werden. Er manipuliert die Medien und Politiker wie den peruanischen Präsidenten („Sie meinen, Peruaner hätten die Südsee besiedelt?“). Er baut sein Floß mit den gleichen Materialien und Techniken, die Tiki damals zur Verfügung standen, nimmt aber ein Funkgerät und eine Filmkamera mit. Vor allem schreibt er und legt so das Fundament zu seinem in 67 Sprachen übersetzten Bestseller. Dieser souveräne Umgang mit den Medien wird im Film ähnlich zelebriert wie Heyerdahls Furchtlosigkeit. Ebenso wichtig wie der richtige Kurs ist es für ihn, dass das Funkgerät funktioniert und dass die Kamera läuft, wenn ein riesiger Wal neben dem Floß schwimmt.
Doch in erster Linie ist „Kon-Tiki“ ein Abenteuerfilm, in dem möglichst dramatisch erzählt wird, wie sechs Männer im Jahr 1947 auf einem winzigen Floß aus Balsa-Holz in 101 Tagen von Peru nach Polynesien treiben. Das Funkgerät geht nicht, Haie greifen an, das Floß treibt eine Zeitlang in die Falsche Richtung, die Landratte in der Mannschaft hat eine Panikattacke, macht schließlich aber alles durch eine rettende Idee wieder gut, Heyerdahls Kindheitsfreund und Lebensretter ist auch in einer zweiten, lebensgefährlichen Situation zur Stelle und als eine Art Running Gag wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Thor Heyerdahl nicht schwimmen kann. Wirklich spannend wird es nie, denn man weiß ja um den erfolgreichen Ausgang, aber dafür gelingt es denn Filmemachern, spürbar zu machen, wie eng, schwankend und unsicher es auf dem kleinen Floß für die sechs Männer gewesen sein dürfte.
Um die Reise endgültig mythologisch zu überhöhen, leisten sich Ronning und Sandberg einen seltsamen, kosmologischen Trick-Effekt. In einem vertikalen 360-Grad-Schwenk geht der Blick vom Floß im Ozean hoch in den Himmel, bis man einen Teil der gekrümmten Erdkugel sieht, dann zum Mond, zur Milchstraße und schließlich wieder herunter zu dem winzigen Punkt im Meer. Diese am Computer animierten Einstellung bricht mit dem realistischen Stil des Spielfilms und wirkt eher irritierend als ergreifend. Dafür gab es keinen Oscar.