: Warten auf die Einwechslung
MACHTAMBITIONEN Thomas Heilmann ist Senator, Vizeboss der CDU und Mann von Welt. Bald wird er Chef des mächtigsten CDU-Kreisverbands Steglitz-Zehlendorf. Er bestreitet, dass er mit dieser Hausmacht im Rücken Landeschef Frank Henkel ablösen will. Trotzdem kann er gut verstehen, dass viele genau das vermuten
VON STEFAN ALBERTI
Können diese Augen lügen? Blau sind sie bei Thomas Heilmann, 48, und aus dem Mund darunter kommt der Satz: „Glauben Sie mir, ich habe keine Ambitionen, Frank Henkel zu verdrängen.“ Heilmann, Justiz- und Verbraucherschutzsenator und Vize von CDU-Landeschef Henkel, 49, ist nun auch designierter Chef der Christdemokraten in Steglitz-Zehlendorf, dem größten und einflussreichsten der zwölf Berliner CDU-Kreisverbände. Seither beschäftigt nicht nur die CDU die Frage: Wofür braucht der das, wenn nicht als Basis für den Sprung nach ganz oben?
Bislang war Heilmann vor allem derjenige, der Berlins CDU etwas Weltläufiges gab; der Mann für die großen Linien, der Wahlkampfstratege, der gern mit seinen mehr oder minder direkten Drähten zu Kanzlerin Merkel und Arbeitsministerin von der Leyen sowie ausländischen Größen kokettierte. Ausgerechnet der soll sich ohne Not ab Mai die Führung eines strukturell zerstrittenen Kreisverbands antun? Mit all den kleinteiligen Alltagsproblemen bis hin zum Schlagloch und kaputten Gehwegen? Nur, um Schaden von der CDU abzuwenden, weil ohne ihn der seit Ewigkeiten in der Zehlendorfer CDU verwurzelte und deshalb als Streitschlichter ungeeignete Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann neuer Kreisvorsitzender geworden wäre?
Heilmann ist zum Gespräch ins taz-Café in der Rudi-Dutschke-Straße gekommen und witzelt darüber, dass es hier, im Epizentrum des alternativ-ökologischen Gewissens, noch immer keinen frisch gepressten Orangensaft und kein Müsli zu bestellen gibt – wie schon bei einem früheren Besuch.
Je länger man mit ihm redet, umso klarer wird, warum er in seinem früheren Berufsleben als PR-Experte so erfolgreich war: Er schafft es einfach, dass man zumindest einen Moment lang wirklich glaubt, Heilmann würde tatsächlich nicht am Stuhl von Henkel sägen und von einer künftigen Spitzenkandidatur träumen. Demnach wäre der Kreisvorsitz für ihn bloß eine weitere Herausforderung, um zu zeigen, dass der Mann aus der Schublade, Stratege und Vordenker auch das Kleinteilige kann, das CDU-Schwarzbrot. „Klar habe ich den Ehrgeiz, den Laden zu befrieden und zu stärken. Ich finde Herausforderungen immer total interessant“, sagt er mit einem Blick, um den ihn jeder Gebrauchtwagenhändler beneiden würde.
Das Thema kleinkochen
In der CDU versuchen sie, das Thema kleinzukochen. Henkel sieht die Entscheidung um den Kreisvorsitz nur als Auseinandersetzung zwischen Heilmann und Wellmann, die eben sein Stellvertreter gewonnen hat. „Als CDU-Chef habe ich Respekt davor, dass beide Seiten die offene Frage auf diese Art geklärt haben“, sagt er der taz.
Doch Heilmann weiß, dass Henkel die Sache mit dem Kreisvorsitz nicht unbeeindruckt lässt. Viele reden auf den CDU-Chef ein und warnen ihn vor dem vermeintlichen Machtstreben seines Parteivizes. „Natürlich macht sich Frank Henkel dann so seine Gedanken, das kann ich verstehen“, sagt Heilmann. Und wiederholt dann wieder, dass er keine Ambitionen hat.
Fakt ist: Einen Masterplan – Partevize, Senator, Kreisvorsitzender, Henkel-Nachfolger – kann Heilmann nicht haben. Denn in die Landesregierung rückte er nicht bei der Senatsbildung im Herbst 2011 und schon gar nicht in sein Wunschressort Bildung. Senator wurde er erst nach dem nicht vorhersehbaren Rücktritt von Justiz- und Verbraucherschutzsenator Michael Braun (CDU) nach nur elf Tagen im Amt. Gleiches gilt für den Kreisvorsitz in Steglitz-Zehlendorf: Der lag über viele Jahre ebenfalls bei Braun, der aber nach Rücktritt und einer gescheiterten Bundestagskandidatur nicht wieder kandidierte.
Es ist eher so, als ob Heilmann spontan auf plötzliche Möglichkeiten reagiert – und das, was sich ihm bietet, bei Interesse gern mal ausprobiert. „Politik sollte auf Zeit sein“, sagt er, „und ich beabsichtige nicht, das zehn Jahre zu machen. Aber in dieser Zeit möchte ich so wirksam wie möglich sein.“ Nach dieser Logik drängt Heilmann zwar nicht aktiv nach der Spitzenposition in der Berliner CDU – würde sich die Chance aber bieten, wüsste er sie wohl zu nutzen. Der CDU-Vorsitz wiederum ist notwendige Voraussetzung, um das ganz große politische Rad zu drehen: Regierungschef wird die Nummer eins einer Partei, nicht ihr Vize.
Noch ist die Berliner CDU zu berauscht davon, nach zehn Jahren Opposition überhaupt wieder mitzuregieren. So sehr, dass sie sogar das Missmanagement von Klaus Wowereit bei der Flughafenbaustelle BER und den Ärger über die wiederholt verschobene Eröffnung schluckte. Und sie ist Henkel dankbar, dass er aus dem zerstrittenen Haufen, den er 2008 übernahm, eine regierungsfähige Partei machte.
Sobald die Christdemokraten aber wieder nach vorn schauen, werden sie sehen, dass sie in ihrer derzeitigen Aufstellung keine Chance auf die Führungsrolle in einer Koalition haben. Die CDU stieg zwar in Umfragen bis Anfang März auf 29 Prozent, 5 Prozentpunkte vor der SPD und damit so weit vorn wie seit Ende 2009 nicht mehr. Doch ohne potenziellen Koalitionspartner bleibt das l’art pour l’art, selbst wenn daraus noch 35 Prozent und mehr werden: Bevor sie kleiner Partner der CDU wird, geht die SPD lieber mit den Grünen zusammen. Und anders als auf Bundesebene kann die Union in Berlin nicht auf die FDP hoffen, die hier in den meisten Umfragen gar nicht mehr erfasst wird.
Will die CDU eine Machtoption eröffnen, muss sie sich den Grünen gegenüber öffnen – und genau hier kommt Heilmann ins Spiel. Denn eine Koalition mit der CDU ist mit Frank Henkel als Regierendem Bürgermeister undenkbar. Der hat zwar im Senat Kreide gefressen, ist aber bei vielen Grünen weiter als der innenpolitische Hardliner früherer Tage abgespeichert. Und selbst in abgemilderter Form ist er als Innensenator qua Amt zu sehr Zielscheibe linker Kritik, als dass auf dieser Basis eine Annäherung möglich wäre. Das zeigte erneut die jüngste Abgeordnetenhaussitzung mit der erhitzten Debatte über Rassismus.
Heilmann hingegen ist – womit er ja auch CDU-intern in Steglitz-Zehlendorf für sich warb – von früherem Zoff unbelastet. Schon vor der Abgeordnetenhauswahl 2011, als er mit der Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop für ein Interview auf dem Titel des Stadtmagazins Tip posierte, galt er als offen für eine Koalition mit den Grünen. Passenderweise regiert die CDU in seinem Kreisverband Steglitz-Zehlendorf seit 2006 als einziger Bezirk mit den Grünen.
In der Rolle des Türöffners ist Heilmann allerdings nicht konkurrenzlos. Denn Sozial- und Gesundheitssenator Mario Czaja, 37, ist auch einer, der mit den Grünen gut kann. Czaja war schon als gesundheitspolitischer Sprecher über Fraktionsgrenzen hinaus anerkannt und bekommt auch als Senator Lob von den Grünen. Was ihn mit Heilmann eint, ist eine Lässigkeit und Spontaneität, die auch im Abgeordnetenhaus immer wieder zu beobachten ist. Als dort vor drei Wochen ein Pirat Czaja fragte, warum es im armen Berlin mehr von den teuren Computertomografen gebe als in ganz Italien, antwortete er als Gesundheitssenator mit Selbstironie: „Das zeigt, dass die Arbeit der Vertriebsmitarbeiter der Medizintechnikunternehmen in Berlin außerordentlich erfolgreich war.“
Die meisten Delegierten
Czajas großes Problem ist, dass er zwar auch Kreisvorsitzender ist – aber in Marzahn-Hellersdorf, dem zweitkleinsten der zwölf Berliner Kreisverbände. Heilmanns CDU in Steglitz-Zehlendorf hat fünfmal mehr Mitglieder als jene 460 Christdemokraten, die im tiefen Osten hinter Czaja stehen – und damit ebenso viel mehr Delegierte bei Parteitagen, auf denen Landesvorsitzende und Spitzenkandidaten gewählt werden.
Ähnlichkeiten stehen aber nicht zwangsläufig auch für persönliche Nähe. Heilmann sagte zwar in einem Interview jüngst über Czaja, der sei „ein Freund“. Doch auf die Frage, ob er das umgekehrt genauso sehe, antwortete Czaja der taz ausweichend: „Frank Henkel hat ein gutes Team für den Senat zusammengestellt. Wir arbeiten gut und freundschaftlich zusammen.“
Nominelle Nummer zwei in der Berliner CDU war lange die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters, als erste stellvertretende Landesvorsitzende herausgehoben unter Henkels vier Vizes. Doch sie spielt in der Landespolitik gegenwärtig kaum eine Rolle. Ihr parteiinternes Standing war zudem nicht das beste, als sie im Spätherbst mit nur 72,2 Prozent zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl nominiert wurde.
Mit Heilmann und Czaja aber hat die CDU das, was im Fußball „eine starke Bank“ heißt und mittlerweile als spielentscheidend gilt: Leute, die sofort als Spielführer einspringen können. Ganz im Gegensatz zum Koalitionspartner SPD: Dort ist bei aller Kritik an Klaus Wowereit weiter keiner auf Augenhöhe mit dem Regierenden.
Heilmann will von einer Kronprinzenrolle nichts wissen und bemüht seinerseits einen Vergleich aus dem Sport: „Wir sind eine Mannschaft mit einem Kapitän, und dahinter sind alle Stammspieler gleich wichtig.“ Das könnte man seinen blauen Augen sogar glauben – für den Moment. Aber wie war das vor der Fußball-WM 2010, als der als unverzichtbar geltende Kapitän Michael Ballack, der berühmte Capitano, plötzlich verletzt war? Weg war er und ein anderer auf seinem Platz. Und was bei Ballack eine rüdes Foul war, könnten bei Henkel neue Funde in der Verfassungsschutzaffäre sein oder ein schiefgelaufener Polizeieinsatz – bis zum 1. Mai ist es nicht mehr lange hin.