: Sechs Löcher für die Lyrik
STADTKULTUR Die Zimmer-Galeristin Heide Marie Voigt ruft die Bremer Hausbesitzer dazu auf, ihre Wände für Poesie-Banner zur Verfügung zu stellen
Wer eine Wand zur Verfügung stellen will, kann unter zwiesprache.lyrik@nord-com.net Heide Marie Voigt kontaktieren.
■ Die Banner werden mit Stockschrauben angedübelt, die etwa acht Zentimeter tiefen Bohrlöcher, so versichern die Veranstalter, fachmännisch abgedichtet.
■ Interessierte Mieter müssen die Einwilligung ihrer Immobilienbesitzer einholen.
■ Die Plakate sollen ab dem 21. März zwei Monate hängen, in den kommenden Jahren werden sie zum Poesie-Welttag wieder an jeweils anderen Orten angebracht.
An einer verkehrsreichen Bremer Straße zu wohnen kann nun zum kulturellen Auswahlkriterium werden: Das Projekt „Zwiesprache Lyrik“ sucht Hausbesitzer, die ihre Fassaden für zweieinhalb mal fünf Meter messende Lyrik-Banner zur Verfügung stellen. Pünktlich zum „Welttag der Poesie“ am 21. März sollen 20 Gedichtposter in 20 Sprachen in ganz Bremen präsent sein.
Besonders willkommen sind die Anwohner viel befahrener Kreuzungen: „Wir wollen eine gut sichtbare soziale Plastik entstehen lassen“, sagt Initiatorin Heide Marie Voigt in Anspielung auf Beuys. Der hatte 1982 den Kasseler Stadtraum mit 7.000 Eichen „bespielt“. Die kurzen zeitgenössischen Gedichte, die derzeit von einer Jury ausgewählt werden, sollen laut Voigt ebenfalls daran erinnern, „dass Menschen andere Werte haben als ihr Geld“. Bislang hat das allein schon logistisch sehr ambitionierte Projekte kaum zehn Prozent seines 50.000 Euro-Etats zusammen.
Neben willigen Hauswand-Bereitstellern werden also Sponsoren gesucht – allein die Tagesmiete für einen zur Gedichtmontage benötigten Hubwagen kostet 700 Euro. Vielleicht wird helfen, dass neben der deutschen Unesco-Kommission auch Bürgermeister Jens Böhrnsen samt Vorgänger Henning Scherf als Schirmherren dabei sind.
Voigt sucht ihre Wände vor allem in den Außenbezirken – dort, wo Mehrsprachigkeit ohnehin Teil des Alltag sei. Neben Türkisch und Spanisch gehört auch Unbekannteres wie das in Togo gesprochene Tem zu den bereits ausgewählten Gedichtsprachen. Der Druck des eigentlich vorgesehenen chinesischen Gedichts wird allerdings an fehlenden Schrifttypen scheitern.
Mit Randständigkeit hat Voigt produktive Erfahrung: In Kattenturm, „zwischen Ausfallstraßen und Flugzeuglärm“, betreibt sie ihre „Zimmer Galerie“. Seit 1989 hat sie dort über 130 Künstlerinnen ausgestellt, dazu Konzerte, Konferenzen und Lesungen organisiert. Als langjährige Lehrerin kennt Voigt auch den Schul-Kosmos. Ihr ist besonders wichtig, parallel zum Hauswand-Projekt ein Poesie-Programm mit neun Schulen zwischen Osterholz, Huchting, Borgfeld und Vegesack zu veranstalten. „Die Schüler sollen ihre Zweisprachigkeit auch als Schatz verstehen können“, sagt Voigt.
Ebenso wie die Banner-Gedichte soll die in den Schulen entstehende Lyrik möglichst große öffentliche Wirkung entfalten: Neben Lesungen in den jeweiligen Stadtteilen ist eine Publikation in Buchform anvisiert.
Henning Bleyl