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Archiv-Artikel

Der Studierende als Datensatz

Ausgerechnet an der „Freien“ Universität Berlin nimmt über das Campus Management das Traumbild des modernen Studenten Gestalt an: der ideal verteilte, stets benotete, bargeldlos verrechnete und überall zu ortende Studierende

VON FLORIAN HOLLENBACH

Nico Foss, 21, sitzt vor seinem Computer und hat ein Problem. Der Student versucht gerade, seinen Stundenplan zusammenzustellen. Online. Per Mausklick sucht er Kurse. Aber er kommt nicht weiter. Nico ist am Verzweifeln. So wie dem Erstsemestler geht es hunderten Studierenden der FU Berlin. Eine digitales Seminarsystem stiftet Chaos statt reibungsloser Platzvergabe.

Dabei sollte genau das Gegenteil eintreten. Das so genannte Campus Management, eine Art elektronisches Vorlesungsverzeichnis, sollte das Studium an der Freien Universität noch freier und ungezwungener machen. Kein sinnloses Hin-und-Her-Rennen auf dem Campus der 30.000-Studierenden-Uni im Süden Berlins. Schluss mit überbelegten Seminaren und Hamsteranmeldungen verunsicherter Studierender.

Kursvergabe per Los

Das Campus Management des Softwareriesen SAP sollte die Studierenden optimal auf die Kurse verteilen. Nun erweist es sich als bürokratische und zwanghafte Studienorganisation. Es kann vorkommen, dass den Studierwilligen Kurse per Zufallslos zugeteilt werden. So entscheidet der große Bruder Campus Management, wenn sich mehr Teilnehmer für ein Seminar anmelden, als es Plätze gibt. Dafür haben andere Studierende, besonders in der hypertrophen Lehrerbildung, bis zu 40 Semesterwochenstunden.

Dabei sollte der virtuelle Campus den StudentInnen helfen und sie nicht unter Druck setzen. „Übersicht über erbrachte und noch zu erbringende Leistungen, Stundenplanung, Druck von Bescheinigungen“. So lautete das Rundumsorglos-Menü des elektronischen Studienberaters. In Wahrheit konnten viele Studierende Campus Management überhaupt nicht nutzen – Genosse Computer hatte die Zugangsdaten verweigert oder verschlampt. Was früher kein Problem war, wird heute unter der exklusiven Kursverwaltung des digitalen Helfers eines. Ohne Campus-Daten keine Zulassung zum Seminar.

Die Studierenden der Freien Universität sind seit einigen Tagen wegen des Campus Managements im Streik. Sie fühlen sich wie die Teilnehmer eines Experiments. „Es ist absolut unverantwortlich, Studierende zu Versuchskaninchen für ein technisch nicht ausgereiftes System zu machen“, schimpft zum Beispiel David Hachfeld vom Allgemeinen Studierendenausschuss.

Nico Foss ist einer der unfreiwilligen Probanden. Er musste sich erst mal tagelang in das Computerprogramm hineinfrickeln. Erst danach konnte er mit dem beginnen, was er eigentlich wollte – Englisch und Politikwissenschaft studieren. Vor der Begegnung mit dem Manager waren seine Studienträume andere. Nico schwärmte vom offenen Studium. Einer Freien Universität, in der er Kurse frei wählen und selbst entscheiden konnte, was er lernen wollte. Statt des Humboldt’schen Ideals von Einsamkeit und Freiheit traf Nico auf den Kursdispatcher einer vermeintlichen Eliteschmiede.

Nicos Stundenplan besteht fast nur noch aus Pflichtkursen. Es herrscht eigentlich überall Anwesenheitspflicht. Der Kontakt und das Gespräch zwischen DozentInnen und StudentInnen, Humboldts Keimzelle der Universität, wird mehr und mehr von dem SAP-Kursroboter verdrängt. Campus Management schreibt Nico nicht nur vor, welche Kurse er in welchem Semester zu belegen hat. Es verwehrt ihm auch den Zugriff auf andere Fachbereiche. Und Großer Bruder Stundenplan mag interdisziplinäres Lernen nicht. „Das System gefährdet mit seinem umfassenden Informations- und Kontrollanspruch das universitäre Leben“, schreibt Hajo Funke, Vizeleiter des politikwissenschaftlichen Otto-Suhr-Instituts. Es behindere die „freie Lehr- und Lernatmosphäre in einer freien Universität“.

Die Kontrolle macht Nico zu schaffen. Alle seine Daten sind im Campus Management erstmals zentral gespeichert. Noten, Kurse, Scheine, sogar Anwesenheiten von ihm und seinen KommilitonInnen sollen dokumentiert werden. Goethes „Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie studiert“ – nicht mit der Studentenüberwachung Campus Management. „Das System führt zu zentraler Übersteuerung an der Universität“, klagt David Hachfeld. Kombiniert mit Blackboard, einem Zusatzmodul, kommt es sogar fast zu einer Totalkontrolle der Studenten. Über Blackboard stellen Dozenten Dokumente, Vorlesungsskripte oder Übungsaufgaben online bereit. Blackboard kommuniziert mit den Studenten.

Eine tolle Sache, dachte Nico anfangs. Doch auch hier fand sich der Haken. Die DozentInnen können mit Blackboard kontrollieren, wann sich welcher Student fürs Studium einloggt, um Skripte herunterzuladen – und sie sehen auch, wer das nicht tut. Das Otto-Suhr-Institut hat seinen Lehrenden deswegen verboten, Statistiken über die Blackboard-Nutzung einzusehen. Deren Verwendung könne sich „negativ auf das Vertrauensverhältnis zwischen DozentInnen und Studierenden auswirken“.

Absprachen entfallen

Nur langsam hat sich Nico damit abgefunden, dass sein Studium anders verläuft, als er dachte. Er verbringt viel Zeit im E-Campus. Er muss fleißig sein – sonst verpasst er seine Hausarbeiten, die bis Ende März fertig sein müssen. Auch das eine Neuheit, die der Campus Manager den StudentInnen beschert. Früher konnten sie die Abgabetermine mit den DozentInnen persönlich absprechen. Wer nicht fertig wurde, durfte nicht selten nachliefern. Der virtuelle Campus schreibt Abgabetermine vor, mündliche Nebenabsprachen kennt er nicht. Bis Ende April müssen Hochschullehrer aller Fachbereiche im Campus Management ihre Noten eingetragen haben. „Das bringt eine Gleichausrichtung ganz unterschiedlicher fachspezifisch entwickelter Lernkulturen, die zu zerstören, auch nur zu gefährden, niemand ein Interesse haben kann“, schimpft Hajo Funke.

Zwar versprach FU-Präsident Dieter Lenzen, die Fristen des akademischen Kalenders zu flexibilisieren. Dazu gehören Anmeldungen zu Lehrveranstaltungen und Modulen, Abgabefristen für Hausarbeiten, Korrekturfristen und so weiter. Aber der Campus Manager hat weiter den Daumen drauf.

Über seine Zukunft macht sich Nico Foss allerdings noch mehr Sorgen. Studiengebühren zum Beispiel könnte er sich nicht leisten. Schon heute ist das Geld knapp. Nun ist die Einführung von Studiengebühren in Berlin bis zur Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2006 nicht geplant. Für den eher unwahrscheinlichen Fall freilich bietet die zwei Millionen teure Investition SAP Campus Management durchaus Vorteile: Das System kann Studiengebühren verwalten. „Das Studentenkonto im Campus Management ermöglicht eine integrierte Gebühren- und Studienbeihilfeverwaltung Ihrer Studenten“, heißt es auf der Werbehomepage des E-Campus. Auch das nur eine scheinbare Erleichterung für Studis, denn durch den Campusroboter können sie gebuchte Kurse sofort bezahlen – durch bargeldlose Abbuchung.

Manchmal, wenn Nico Foss seine Gedanken weiter wandern lässt, erscheint ihm noch anderes Ungemach. Das System Radio Frequency Identification zum Beispiel wäre die ideale Ergänzung des Campus Managers. Die Studierenden trügen mit ihren Studentenausweisen stets Sender mit sich herum. Die über den ganzen Universitätscampus verteilten Empfänger könnten sie überall ausfindig machen – ein perfektes Ortungssystem. Keine Studieneinheit bliebe unbemerkt, kein Studierender ginge mehr verloren. Und wenn doch, könnte man ihn einfach exmatrikulieren. Praktisch.