Minister kommen der Industrie entgegen

Der EU-Rat hat sich auf eine neue Chemikalien-Richtlinie geeinigt. Dabei hat er den früher strengen Entwurfweiter abgeschwächt. Verbraucherschützer hoffen nun auf das Europaparlament. Das muss 2006 entscheiden

VON STEPHAN KOSCH

Die Umweltminister der Europäischen Union haben sich gestern auf eine neue Chemikalien-Richtlinie geeinigt – und sind dabei der Industrie entgegengekommen. Zumindest frohlockte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos: „Ich begrüße, dass es gelungen ist, eine wirtschaftsfreundliche Lösung bei Reach durchzusetzen.“

Reach heißt die Richtlinie, die eigentlich den Verbraucher vor gesundheitsschädlichen Substanzen in Produkten aller Art schützen sollte. Dazu soll die Industrie auf eigene Kosten rund 30.000 chemische Substanzen überprüfen und von der neuen EU-Chemieagentur mit Sitz in Helsinki registrieren lassen. Das kostet die Unternehmen pro Stoff zwischen 20.000 und 400.000 Euro. Besonders gefährliche Chemikalien können verboten werden. So sollten die Firmen ursprünglich dazu gebracht werden, ökologische Produkte zu entwickeln.

Schon das Europaparlament hatte das neue Regelwerk Mitte November zugunsten der Industrie verändert. Denn die Minister gingen nun noch einen Schritt weiter: Die Unternehmen müssen nun die gefährlichsten Stoffe nicht gegen alternative Substanzen austauschen, wenn sie nachweisen, dass es keine ausreichenden Ersatzstoffe gibt.

Zudem kippte der Rat den Vorschlag des Parlaments, nach dem die Chemikalien-Agentur für solche Substanzen nur eine Zulassung für fünf Jahre aussprechen soll. Stattdessen sollen besonders gefährliche Stoffe von der Agentur von Fall zu Fall bewertet und für eine jeweilige Frist zulassen. Die kann kürzer sein als fünf Jahre, aber auch deutlich länger.

Bei der Registrierung der Stoffe hielten sich die Mitgliedstaaten an den bereits abgeschwächten Vorschlag des Europaparlaments. Für Substanzen, die in einer Menge bis zu zehn Tonnen pro Jahr produziert werden, müssen nur dann Daten übermittelt werden, wenn sie potenziell Krebs erregend sind. Zwei Drittel der von Reach betroffenen Stoffe werden aber nur in einer Menge von unter zehn Tonnen produziert. Viele Stoffe fallen also aus der strengen Überprüfung heraus.

So kritisierten dann auch Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Verbraucher- und Frauenorganisation WECF in einer gemeinsamen Erklärung die Einigung als „Verwässerung der Richtlinie“. Die Chance, die Bürger besser vor gefährlichen Chemikalien zu schützen, sei verspielt worden. Auch die Grünen-Fraktion im Bundestag kritisierte die Einigung und beantragte für Freitag eine aktuelle Stunde zum Thema. Mittlerweile seien zahlreiche Änderungen bei Reach beschlossen. Es sei zu bezweifeln, ob Reach sein Ziel noch erreichen könne: den Umwelt- und Gesundheitsschutz zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chemiepolitik zu stärken.

Allerdings ist die Richtlinie mit der Ministereinigung noch nicht verabschiedet. Das Europaparlament wird sich in zweiter Lesung im kommenden Jahr damit beschäftigen.