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Archiv-Artikel

Musik statt Ritalin

SINGER/SONGWRITER Nach dem überraschenden Erfolg seines Debütalbums „Floriography“ war der nordnorwegische Singer/Songwriter Moddi völlig ausgebrannt. Und sich sicher: Nie wieder wird er ein Album aufnehmen. Aber dann kamen die Melodien doch wieder

Musik ist für den Hyperaktiven viel mehr als Mittel zum Broterwerb: Therapie

VON ROBERT MATTHIES

Völlig ausgebrannt war Pål Moddi Knutsen nach seinem ersten Album „Floriography“, in das der Norweger von der zerklüfteten kleinen Insel Senja 350 Kilometer nördlich des Polarkreises fünf Jahre lang nicht nur all sein Geld, sondern auch all seine ohnehin empfindsamen Nerven investiert hatte. Aufgenommen vom renommierten Björk-Produzenten und Bedroom Community-Gründer Valgeir Sigurđsson, kletterte das Album ganz ohne Singleauskopplung in die Top Ten der norwegischen Charts, kurz darauf griffen die Landsleute von a-ha dem Singer/Songwriter mit ihrem mit immerhin rund 125.000 Euro dotierten Stipendium unter die Arme, im Jahr darauf gab es den „norwegischen Grammy“ Spellemannsprisen in gleich zwei Kategorien: als bester Künstler und Newcomer des Jahres.

Nach 250 Konzerten, darunter drei umjubelte Auftritte beim Reeperbahnfestival, und zwei Jahren, in denen es ihm nicht gelang, auch nur einen Song zu schreiben, war dem als Wirrkopf geltenden Wuschelkopf dann klar: Noch ein Album wird er nicht aufnehmen. Völlig überfordert zog sich der 26-Jährige wieder in die Abgeschiedenheit der nordnorwegischen Provinz zurück, quartierte sich in einem fünfstöckigen Studierendenwohnheim ein und irgendwann kamen auch die Melodien wieder in den Kopf, ganz allein mit der Gitarre und dem schrottigen Digitalrekorder im lichtlosen Duschbunker nebenan. Denn Musik ist für den Hyperaktiven viel mehr als Mittel zum Broterwerb: Therapie, der beste Ersatz für Ritalin, eine Möglichkeit zur Konzentration und zum Ausagieren all des Getoses im Kopf.

Doch nun wollte Moddi weg vom auch von ihm selbst gepflegten Image des ein wenig verstrahlten Jungen von der Fischerinsel. Und endlich zeigen, dass längst mehr in ihm steckt. So wenig wie möglich nach Moddi sollte der neue Moddi klingen, nicht mehr so „marxistisch“, als habe der junge Sozialist schon die Antworten auf alle Fragen gefunden. Denn auf Floriography ging es immer wieder auch gegen Übel wie den Griff der Ölmultis nach dem norwegischen schwarzen Gold oder das Erstarken der Rechten.

Ganz verzichtet hat Moddi aber auch auf seinem nun erschienenen zweiten Album „Set the House On Fire“ nicht auf politischen Ausdruck. „Let the spider run alive“ wendet sich gegen die in Norwegen kürzlich Gesetz gewordene Vorratsspeicherung von Internet- und Handydaten und eine Regierungsspinne, die die Konsequenzen des eigenen Handelns nicht erkennen kann.

Vor allem aber hat Moddi diesmal nicht so verbissen mit seinen Mitstreitern zusammengearbeitet. Experimenteller klingt deshalb das Ergebnis, etwa im verspielten „The Architect“, in dessen dröhnend-schwebendes Klimpern sich sanft ausgelassene Kinderstimmen schleichen. So entspannt war die Zusammenarbeit, dass der Protagonist die Aufnahme eines anderen Songs schlicht verschlafen hat: Als der Erschöpfte wieder zu den anderen stieß, hatte die Band um Einar Stray, der nach seinem beeindruckenden Debüt „Chiaroscuro“ ebenfalls als Wunderkind des schwelgerischen Polar-Pops gefeiert wird, die Aufnahmen längst im Kasten.

■ Di, 2. 4., 20 Uhr, Prinzenbar, Kastanienallee 11