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Archiv-Artikel

Don Piñi im Glück

MAIL AUS SANTIAGO Am Sonntag sind Wahlen in Chile. Der Kandidat der Rechten, Sebastián Piñera, ein Unternehmer, betreibt seinen Wahlkampf so geschickt wie aggressiv

Die Anhänger des Regierungsbündnisses Concertación sind deprimiert. Zu viel Klüngelei, zu viel Korruption

VON CHRISTIAN LEHMANN CARRASCO

Im Endspurt zu den Präsidentschaftswahlen in Chile wird auf der Rechten geklotzt, was das Zeug hält. Das frühere Pinochet-Lager zeigt sich geeint und kompakt, während die regierende Concertación vor der Entscheidung am Wochenende keinen Grund unter den Füßen zu finden scheint.

Sebastián Piñera, Unternehmer, Milliardär und Mitglied der Rechtsaußenpartei Renovación Nacional (Nationale Erneuerung), zieht alle Register: Er lässt sich ungefragt vor der Skulptur „Die Hand in der Wüste“ fotografieren, einem nationalen Symbol des Hippie- und Aussteigertums. Er veranstaltet Pressekonferenzen vor Pablo Nerudas Haus an der Isla Negra. Ausgerechnet Neruda, die 1973 verstorbene linke Dichterikone! Er zitiert in Fernsehspots Bilderwelten im Stile der früheren sozialistischen Unidad Popular und dramatisiert Wahlkundgebungen im Stile eines Roland-Emmerich-Films.

Auf jedes Plakat des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Eduardo Frei, der für den Parteienzusammenschluss der regierenden Concertación antritt, kommen ohne jede Übertreibung mindestens 50 Plakate des Herausforderers Piñera. „Sumete al cambio“ (Schließ dich dem Wechsel an), „Por una nueva forma de gobernar“ (Für einen neuen Regierungsstil), oder schlicht und einfach „Piñera“. Kein Straßenzug in Santiago ohne ein Piñera-Plakat in den unterschiedlichsten Formaten.

Farben aus China

Don Piñi, der Märchenprinz, Besitzer unzähliger Immobilien und riesiger Ländereien, ehemaliger Bankenchef, Eigentümer der Lizenzen auf sämtliche Kreditkartenabwicklungen in Chile, Eigentümer von Airlines, Fernsehstationen, Radiosendern, Fußballclubs und, und, und, will um jeden Preis den Regierungspalast Moneda erobern, und er lässt sich das was kosten. Don Piñi hat eigens für den Wahlkampf eine hochmoderne Druckereianlage aus China importieren lassen, mitsamt 30 Spezialisten, von denen es heißt, sie würden für drei Jahre vom chinesischen Staat finanziert. Die Anlage ist auf dem höchsten technischen Stand, das Material, darauf ausgerichtet dem chilenischen Smog-Sonne-Ozon-Sommer zu trotzen, von allerbester Qualität und dennoch von den Chinesen angeblich um die Hälfte des internationalen Marktpreises erstanden. Die bunten Farben der Plakate bleichen nie aus, der Kandidat sieht immer frisch und knackig aus.

Es grenzt an Hexerei, dass das Rennen zwischen demokratischem Lager und alter Rechten nicht längst entschieden ist. Die heilige Kuh, der freie Markt, so scheint es, wird nach den Präsidentschaftswahlen am Wochenende wohl den Staat endgültig übernehmen. Dem Siegeszug der heiligen Kuh geht allerdings die Kapitulation der Concertación, des regierenden Bündnisses von Sozial- und Christdemokraten, voraus.

Obwohl die Präsidentin Michelle Bachelet traumhafte Zustimmungsquoten von über 80 Prozent aufweisen kann, haben die Menschen von der Concertación die Schnauze voll. All die Errungenschaften in der Sozial- und Gesundheitspolitik geraten in Vergessenheit. Die geringste Armutsquote während der Diktatur lag bei 20 Prozent, meistens jedoch weit drüber. Heute liegt sie bei acht Prozent. Krankenhäuser hatten keine Bettwäsche und Gebärende mussten sich ein Bett teilen. Heute wird ein Aidskranker umsonst behandelt.

„Ja, aber …“, hält eine Aktivistin diesen Argumenten entgegen, obwohl sie dafür wirbt, Eduardo Frei zu wählen. „Doch“, sagt sie mit desillusioniertem Blick, „es reicht nicht mehr – zu viel Klüngelei, zu viel Korruption.“ Auch die Aufarbeitung der Diktaturzeit – seit der wiedergewonnenen und durch die Concertación verwalteten Demokratie von 1988 bis heute – sei unbefriedigend geblieben. „Eine einzige Geste, die alte Pinochet-Verfassung von 1980 endlich zu ändern, hätte uns alle mobilisiert.“

Väterliches Timbre

Die tatsächliche Überwindung der Diktatur und der festgefügten Klassengegensätze in Chile trauen der Concertación im Augenblick nur noch wenige zu. Dagegen hat der Märchenprinz Piñera für alle Seelen eine Antwort parat: Er hat im Zeichen der Einheit Chiles mit väterlichem Sprachtimbre eine Versöhnungsgeste angekündigt und versprochen, die Beschäftigung mit der Diktaturzeit zu beenden. Sein Wahlsieg wäre ein bitterer Tag für die Demokratie in Chile.