: Im Dickicht der CIA
Was der Bundestag bisher über die US-Entführungen weiß – und was er fragen müsste
VON WOLFGANG GAST
Der CIA-Skandal beschäftigt heute den Bundestag auf den verschiedensten Ebenen. Im Auswärtigen Ausschuss soll Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Auskunft geben, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird im Innenausschuss erwartet und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) wird vor dem Rechtsausschuss Rede und Antwort stehen. Es wird auch eine Debatte im Bundestagsplenum geben. Im Zentrum der Fragen steht der Fall des Ende 2003 entführten Deutschlibanesen Khaled al-Masri.
Es geht aber um mehr. Denn hinter dem Einzelfall al-Masri steht ein streng geheimes und außerhalb der Legalität agierendes Netz des US-Geheimdienstes CIA zur Terrorbekämpfung. Es ist ein weltumspannendes klandestines System, das über getarnte Fluglinien und eigene Gefängnisse verfügt, in die Terrorverdächtigte von Spezialkommandos verschleppt werden. Rechtlose Gefangene werden dort so genannten „Zwangsbefragungen“ unterworfen – oder sogar an Folterregime „überstellt“.
Der Bundestag muss versuchen, unter anderen folgende Fragen zu klären:
1. Warum ist al-Masri entführt und in Afghanistan interniert worden?
Für besonderes Interesse des Bundestags sorgt der Fall al-Masri, weil der Entführte deutscher Staatsbürger ist. Doch selbst einfachste Fragen sind bisher dazu nicht schlüssig beantwortet. Welches Mitglied der Regierung wann über welche Vorgänge unterrichtet war, bleibt hinter einem Schleier widersprüchlicher Aussagen verborgen. Selbst die bisher vermutete Begründung für die Entführung des in Neu-Ulm lebenden 42-Jährigen ist offenbar falsch. Bisher hatte es geheißen, al-Masri sei auf Grund einer Namensverwechslung von der CIA in Mazedonien entführt und nach Afghanistan verschleppt worden – die US-Behörden hätten nämlich seinerzeit weltweit nach einem gleichnamigen Mitglied des Terrornetzwerkes al-Qaida gefahndet, das in die Anschläge vom 11. September verwickelt gewesen sein soll. Die detaillierten Fragen in den Verhören al-Masris nach der Islamistenszene an seinem Wohnort Neu-Ulm legen jedoch den Schluss nahe, dass die US-Vernehmer sehr wohl wussten, wen sie vor sich hatten. Al-Masri zufolge ertrug er in Afghanistan fünf Monate Haft und Folter.
2. Was wussten die Regierung und das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) des Bundestages von dem Fall?
Das Parlamentarische Kontrollgremium ist nach Angaben seines bisherigen Vorsitzenden Volker Neumann (SPD) erst Mitte Februar 2005 über den Fall al-Masri unterrichtet worden. Neumann wies gestern Presseberichte zurück, wonach das Gremium bereits 2004 über die Entführung informiert worden sei. Das Kontrollgremium sei erst aus Anlass eines Fernsehberichts und auf Antrag eines seiner Mitglieder am 16. Februar 2005 mit Informationen versorgt worden. Die Bundesregierung, so Neumann, habe damals gegenüber dem Kontrollgremium die Berichte weder bestätigen noch entkräften können.
3. Warum aber unterrichteten die zuständigen Behörden nicht von sich aus die Geheimdienstkontrolleure?
Der frühere Innenminister Otto Schily (SPD) hat bestätigt, dass er vom US-Botschafter Dan Coats bereits am 31. Mai 2004 über den heiklen Vorgang al-Masri unterrichtet wurde. Schily hat sich nach eigenen Angaben an die Vertraulichkeit gehalten. Bis heute ist nicht bekannt, ob er Exkanzler Gerhard Schröder (SPD) und den Exstaatsminister im Kanzleramt Steinmeier, heute Außenminister, informiert hat. Jedenfalls wussten wenigstens der und sein Amtsvorgänger Joschka Fischer (Grüne) Bescheid: Beide wurden im Juni 2004 schriftlich vom Anwalt des Entführten auf das Schicksal al-Masris aufmerksam gemacht.
Steinmeier und Fischer behaupten nun, die zuständigen Stellen umgehend eingeschaltet zu haben. Der Deutschen Presse-Agentur zufolge haben die Recherchen der Bundesregierung ergeben, dass die deutschen Nachrichtendienste erst nach der Freilassung al-Masris über dessen Entführung informiert wurden – nicht bereits vorher. Das PKG aber will uninformiert geblieben sein. Auch wenn die Unterrichtung die Geheimdienstkontrolleure nicht zu Fragen anregte – es hätte Thema sein müssen: Die Sicherheitsbehörden sind gesetzlich verpflichtet, bedeutsame Vorgänge von sich aus dem PKG vorzutragen. Die Entführung eines Deutschen durch die befreundete CIA dürfte sicher dazu zählen.
4. Waren deutsche Behörden an der Folter Terrorverdächtigter beteiligt – oder profitierten sie von den unter Folter erpressten Aussagen?
Zur Beantwortung dieser Frage ist der Fall des in Hamburg lebenden deutschen Islamisten Mohammed Haydar Zammar von Bedeutung. Zammar wurde drei Monate nach den Anschlägen vom 11. September in Marokko gefasst und von der CIA nach Syrien verfrachtet. Beamte des BKA, des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesverfassungsschutzes sollen ihn nach einem Bericht des Spiegels im November 2002 in Damaskus drei Tage lang in einem Gefängnis des Militärgeheimdienstes zum Komplex 11. September vernommen haben. Mitgefangene haben amnesty international berichtet, dass Zammar in einer unterirdischen Einzelzelle des Gefängnisses „Far Falastin“ festsitzt, das für „routinemäßige schwerste Folter berüchtigt“ ist. Die Bundesregierung hat die Vorwürfe gegen ihre Beamten dementiert.
5. Nutzten CIA-Mitarbeiter Einrichtungen in Deutschland, wenn sie Terrorverdächtigte in geheime Gefängnisse außerhalb der USA verschleppten oder wenn sie Gefangene in fremde Staaten zu Verhören „überstellten“?
Die Entführung des ägyptischen Imams Abu Omar Anfang 2003 in Italien wirft ein Schlaglicht auf das, was sich US-Geheimdienstler unter Terrorbekämpfung vorstellen – und wie die Bundesrepublik darin verwickelt ist. Der radikale Imam wurde am 17. Februar zur Mittagszeit mitten in Mailand von der CIA gekidnappt und zum US-Stützpunkt Aviano in Norditalien verschleppt. Von dort ging es weiter nach Ramstein – auf deutsches Gebiet. Gegen 20.30 Uhr landete der Learjet der CIA. Abu Omar wurde auf dem US-Stützpunkt in eine andere Maschine umgeladen und eine Stunde später ausgeflogen. Ziel: Kairo. Dort ist er bis heute in einem Gefängnis verschwunden. Die Entführung Omars ist einer der wenigen Fälle, in denen belegt zu sein scheint, dass die CIA ihre Gefangenen auch über deutsche Flughäfen schleust. Dass der US-Geheimdienst häufig deutschen Luftraum nutzt, zeigen Zahlen der deutschen Flugsicherungsbehörde. 2002 registrierten deren Mitarbeiter 137 Flugbewegungen mit Flugzeugen der CIA, 2003 waren es 146.
Was an Bord dieser Flüge vor sich ging, entzieht sich komplett der Kenntnis der Bundesregierung. Anders die Gerichte: Da CIA-Angehörige nicht den US-Streitkräften angehören, unterliegen sie nicht dem Truppenstatut der Nato. Und weil der Luftwaffenstützpunkt Ramstein nicht exterritorial ist, gilt auf seinem Boden das deutsche Strafrecht. Die Staatsanwaltschaft Zweibrücken ermittelt deshalb im Fall des Ramstein-Fluges, nachdem sie Unterlagen der Mailänder Justiz erhalten hat. Umstritten ist dabei zudem, ob der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Klaus Scharioth, bei der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Links-Fraktion falsche Angaben machte: Er hatte gesagt, anders als auswärtige „Militärflugzeuge“, die in Deutschland landen oder es überfliegen, benötigten „sonstige Staatsflüge oder zivile Flugzeuge fremder Nationen“ keine Genehmigung.
Die Liste offener Fragen lässt sich ohne weiteres verlängern. Was weiß die Bundesregierung über die geheimen CIA-Gefängnisse in Osteuropa? Gibt es eine internationale Koordination bei der Terrorbekämpfung, an der deutsche Beamte beteiligt sind, wie US-Medienberichte nahe legen? Und: Welche Informationen tauschen deutsche Behörden mit dem US-Geheimdienst aus?
Viele Fragen für die Mitglieder des Bundestages. Auch wenn es heute ein langer Sitzungstag werden dürfte: Dass am Ende alle Widersprüche aufgelöst sind, ist ziemlich unwahrscheinlich.