: Masken und Menschenfleisch
PAPUA-NEUGUINEA Mit dem Boot unterwegs auf dem Karawari River. Straßen gibt es nicht in dieser Region
■ Allgemeine Informationen: Webseiten des Tourismusbüros von Papua-Neuguinea: www.pngtourism.de.
■ Anreise: Air Niugini fliegt von Kuala Lumpur, Cairns und Brisbane nach Port Moresby. Da es nur wenige Pauschalreiseanbieter in Europa gibt, die Papua-Neuguinea im Programm haben, bucht man am besten den Flug nach Port Moresby und lässt sich im Land von lokalen Anbietern betreuen. Ein Verzeichnis der Tour-Operator findet man auf der Internetseite von Papua Neuguinea Tourism.
■ Einreise: Dazu benötigt man ein Visum, das EU-Bürger am Internationalen Flughafen in Port Moresby erhalten.
■ Beste Reisezeit: März bis Oktober. Danach beginnt die Regenzeit. Im Flachland und in den Küstenregionen herrschen Temperaturen zwischen 24 und 35 Grad bei hoher Luftfeuchtigkeit. In der Hochlandregion schwanken die Temperaturen zwischen 12 und 30 Grad Celsius.
■ Literatur: Rasso Knoller: „Lesereise Papua-Neuguinea – Im Land der dunklen Geister“. Picus 2012, 132 Seiten, 14,90 Euro
VON RASSO KNOLLER
Der Außenbordmotor stört die Ruhe des Dschungels. Ein paar Reiher fliegen auf, als unser Boot um die Kurve biegt. Wir fahren den Karawari River hinauf; sind in der Sepikregion unterwegs, dem entlegensten Teil Papua-Neuguineas.
Jetzt in der Trockenzeit liegt der Fluss ruhig vor uns – spiegelblank zeigt sich die Oberfläche des trüben Gewässers. Weite Sandbänke ziehen sich am Ufer entlang. In der Zeit, in der der Regen ausbleibt, thronen die Dörfer gut fünf Meter über dem Wasser. Später im Jahr fließt der Karawari River dann direkt vor den Hütten vorbei; viele von ihnen sind zum Schutz vor den Fluten auf Stelzen gebaut.
Kinder folgen unserem Boot im Sprintschritt am Ufer entlang, winken uns zu. Immer dort, wo das Boot der Böschung so nahe kommt, dass sich die Bugwellen am Ufer brechen, springen sie jauchzend ins Wasser, surfen mit ihren Körpern in den Wellen unseres Motorbootes. „Das machen sie jedes Mal, wenn wir vorbeifahren“, sagt Chris, der Übersetzer, der mich auf diesem Teil meiner Reise begleitet.
Der Karawari ist ein Nebenfluss des mächtigen Sepik, des längsten Flusses Papua-Neuguineas. Es waren die Deutschen, die 1885 in Person des Forschungsreisenden Otto Finsch als erste Europäer in diese Gegend kamen. Deshalb trug der Sepik einst auch den Namen „Kaiserin-Augusta-Fluss“.
Immer wieder kommen uns auf dem Karawari Menschen in ihren „Dugouts“ entgegen – Booten, die aus einem einzigen Stamm herausgehauen wurden.
Schon aus der Ferne erkennt man, ob einem ein Mann oder eine Frau entgegenrudert. Männer stehen beim Rudern, Frauen sitzen im Boot. Entsprechend ist ein Männerpaddel auch deutlich länger als das für Frauen.
Straßen gibt es entlang des Karawari und des Sepik keine. Wer reisen will, muss dies auf dem Fluss tun. „Das ist hier unser Bus“, sagt Chris und zeigt auf einen längeren Dugout, der laut knatternd an uns vorbeirast. Knapp ein Dutzend Menschen sitzt darin, voll beladen mit Körben und Taschen. Sie sind auf dem Weg zum nächsten Markt.
Will man die Sepikregion verlassen, hat man nur ein Möglichkeit. Man muss mit dem Buschflugzeug nach Mount Hagen fliegen. Das ist die nächstgelegene größere Stadt. Die allerdings liegt einige hundert Kilometer vom Karawari River entfernt im Hochland.
Die Flugzeuge bringen normalerweise die Gäste zur Karawari Lodge, der einzigen Unterkunftsmöglichkeit in weitem Umkreis. Für die meisten Einheimischen ist das 400 Kina teure Flugticket unerschwinglich. 400 Kina, das sind umgerechnet etwa 130 Euro – mehr als viele, die hier am Fluss leben, in ihrem ganzen Leben besitzen werden.
Die meisten Hütten sind fast leer. Neben der Kochstelle stehen ein paar Töpfe, in der Ecke aufgerollt die Bastmatten, auf denen man nachts schläft. Die Moskitonetze hängen über einer Schnur, die quer durch den Raum geht. Sie werden erst abends aufgespannt, wenn sich die Menschen schlafen legen.
Malaria ist die häufigste Krankheit in Papua-Neuguinea. Obwohl es nur ein paar Tabletten brauchte, um einen Infizierten zu heilen, sterben hier auch heute noch viele an Malaria. Für westliche Medizin haben die Menschen hier kein Geld, und so vertrauen sie sich den Zauberern, den witch doctors, an. „Manchmal helfen ihre Kräuter, manchmal nicht“, beschreibt Chris die Erfolgsquote lakonisch. Auch er war schon zweimal an Malaria erkrankt. Bei ihm haben die Kräuterkuren geholfen.
Arm sind die Menschen am Karawari aber nur nach unserem Wertesystem. Geld hat in einer Gesellschaft, in der man kaum etwas kaufen kann, kaum Bedeutung. Die wenigen Kina, die die Einheimischen brauchen, wenn sie alle paar Monate in die Provinzhauptstadt Wewak fahren, verdienen sie mit dem Verkauf von Schnitzereien, oder sie bieten auf dem Markt Fische aus dem Fluss an.
Die geschnitzten Masken aus der Sepikregion zählen zu den begehrtesten Mitbringseln aus Papua-Neuguinea. Manche Sammler machen die anstrengende Reise hierher ans Ende der Welt nur, um ein paar der begehrten Sammlerstücke zu kaufen.
Der Fluss und der Dschungel geben den Menschen alles, was sie zum Leben brauchen. Der Karawari versorgt sie reichlich mit Fisch – vor allem Welse und Karpfen gedeihen in dem trüben Wasser ausgezeichnet. Und aus dem Mark der Sagopalme lassen sich Pfannkuchen backen. Dazu ab und zu ein paar Wildfrüchte und ein gegrilltes Hühnchen. Oder man macht Jagd auf Vögel. Da ist die Auswahl groß, denn entlang des Karawari leben 220 unterschiedliche Arten.
Auf dem Fluss ist überraschend viel Verkehr. Alle halbe Stunde kommt uns irgendjemand in seinem Dugout entgehen. In regelmäßigen Abständen passieren wir Dörfer. Die Sepikregion liegt zwar weit entfernt von jeder westlichen Zivilisation, unbevölkert ist sie deswegen aber nicht.
Früher – bevor Australien 1949, von den Vereinten Nationen beauftragt, die Treuhandverwaltung in Papua-Neuguinea übernahm – lagen die Dörfer abseits der Flüsse versteckt im Wald. Das war überlebenswichtig. Denn in der kriegerischen Gesellschaft, in der Angriff auf die Nachbarn und Verteidigung gegen sie zum Alltag gehörten, wäre es viel zu gefährlich gewesen am Fluss zu wohnen. Vom Wasser aus hätte der Feind schnell und unbemerkt zuschlagen können.
Plötzlich war die Nähe zum Wasser ein Vorteil. Wer am Ufer des Sepik und des Karawari wohnte, dem konnten die australischen Ärzte schneller helfen, den konnten die Versorgungsboote der Regierung leichter erreichen und der konnte vielleicht sogar seine Kinder in eine der Dschungelschulen schicken, die entlang der Flussufer erbaut wurden.
Schulen sind auch heute noch ein großes Problem. Chris erzählt, dass kaum ein Lehrer in den Dörfern am Karawari-Fluss unterrichten wolle.
„Die nächsten Städte sind einfach zu weit weg. Die jungen Lehrer langweilen sich hier“, sagt er. Außerdem fehlt den meisten Eltern das Geld – umgerechnet mehrere hundert Euro pro Jahr –, das sie für den Schulbesuch ihrer Kinder bezahlen müssten.
Auf dem Land ist es immer noch die Ausnahme, dass Kinder regelmäßig zur Schule gehen. „Nur wenige Erwachsene in den Dörfern am Karawari können lesen“, sagt Chris. Damit bestätigt er den Blick in die Statistiken. Danach ist ein Drittel bis die Hälfte aller Menschen hier Analphabeten.
Chris hat seinen Sohn auf das Internat nach Mount Hagen geschickt. „I got the results of him, he is doing very well“, erzählt er stolz. Allerdings wird er sein Kind lange nicht mehr sehen. Den Flug nach Mount Hagen kann er sich zusätzlich zu den Schulgebühren nicht leisten. Seinen Sohn wird er deshalb erst in neun Jahren, nämlich dann, wenn er die Schule abgeschlossen hat, wieder in die Arme schließen können.
Eine Reise zum Karawari ist auch eine Art Zeitreise weit zurück in die Vergangenheit. Telefone gibt es hier keine, Fernseher sucht man vergebens – wie sollte man sie auch betreiben? Nur wenige Dörfer können sich Dieselgeneratoren leisten, die dann wenigstens für einige Stunden am Tag Strom erzeugen.
Und doch hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges verändert. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts lebten hier in der Sepikregion die letzten Kannibalen Papua-Neuguineas. Vor nicht allzu langer Zeit gehörte es bei vielen Stämmen der Region noch zu den Ritualen der Initiation eines jungen Mannes, dass er einen Feind töten musste. Bevor er keinen Schädel eines Gegners „erobert“ hatte, galt kein Mann als Erwachsener.
„In der Suppe gekocht, schmeckt Menschenfleisch besonders gut. Man kann es aber auch gebraten und getrocknet essen“, verrät mir mein Übersetzer. Und: Getrocknetes Menschenfleisch könne man sogar wieder einweichen und erst dann zubereiten. Mensch à la Bacalao also.
Chris ist mit seinen 48 Jahren zu jung, um selbst Menschenfleisch gekostet zu haben. Aber sein Onkel hat es probiert. „Ihm hat es geschmeckt“, sagt Chris und erzählt dann, dass der Onkel den Geschmack mit dem eines Kasuars verglichen habe. So gesehen ein Kompliment, denn der Laufvogel gehört zu den Lieblingsspeisen der meisten Menschen in Papua-Neuguinea.