: „Lieber dick als doof“
Präventionsprogramm Moby Dick versucht das Selbstbewusstsein von übergewichtigen Kindern zu stärken. Diäten sind Tabu, stattdessen sollen Sport und gesundes Essen helfen
„Kinder die dick sind, werden im Sportunterricht oft gehänselt“, berichtet die Hamburger Schulärztin Christiane Petersen. Wenn beispielsweise für Ballspiele, die Mannschaften gebildet werden, blieben sie oft am Ende übrig. Die Folge: Gerade die Kinder, die dringend mehr Bewegung bräuchten, tun es noch weniger.
Um diesen Teufelkreis zu durchbrechen, hat die Ärztin bereits vor acht Jahren unter dem Namen „Moby Dick“ ein ambulantes Langzeitprogramm für übergewichtige Kinder entwickelt, das inzwischen in Hamburg in 22 Gruppen und auch in zahlreichen anderen Städten des Nordens wie Lübeck, Hannover, Neumünster und demnächst auch Husum, Heide und Niebüll angeboten wird.
In kleinen Gruppen geben ein Sportpädagoge, ein Ernährungsexperte und ein Psychologe oder Sozialpädagoge den Kindern lebenspraktischen und seelischen Beistand. „Dick macht das, was man jeden Tag falsch macht“, erklärt Petersen. Und leider habe sich das Leben der heutigen Kinder dermaßen verändert, dass immer weniger Bewegung ihren Alltag prägt.
Petersen: „Manches Kind bewegt am Nachmittag maximal den Finger auf der Maus am PC oder den Joystick.“ Dazu käme das Fehlen regelmäßiger Mahlzeiten und eine verkehrte Ernährung, bei der sich die Kinder „durch den Tag naschen“.
Klassische Diäten und Hungerkuren sind für Kinder „tabu“, betont Petersen. Die Moby-Dick-Teams versuchen deshalb bei den wöchentlichen Treffen den Kindern gesundes Essen nahe zu bringen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, wozu durchaus auch mal ein gezielter Besuch bei Mac Donalds zählen kann.
Und sie integrieren die Kinder in kleinen Gruppen in örtlichen Sportvereinen, wie beispielsweise Ruderclubs, wobei beim ersten Termin der Kursleiter dabei ist. Denn allein ist dies für die übergewichtigen Kinder kaum zu schaffen. Petersen: „Dann hören sie Sätze wie: was willst du hier, du dicke Sau.“ Um damit besser umzugehen, werden solche Situationen in Rollenspielen geübt. Eine beliebte Antwort auf die Hänselei: „Lieber dick als doof.“
Das Konzept hat laut Petersen bei 70 Prozent der Kinder Erfolg, bei immerhin 60 Prozent hält der bei der Nachuntersuchung nach einem Jahr noch an. Die Daten werden anonymisiert zur Kontrolle an die Universität Ulm und die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung weiter gereicht.
Übergewicht misst man bei Kindern, die ja noch wachsen, nach „Perzentilen“, die Körperfett im Verhältnis zu Größe und Wachstumserwartung messen. Gemäß Definition der „Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kinder- und Jugendalter“, ist ein Übergewicht ab der 97. Perzentile mit einem „erhöhten Gesundheitsrisiko“ verbunden. Zur Zeit führt Petersen eine Auseinandersetzung mit den Krankenkassen, weil diese künftig den Zuschuss zur monatlichen Kursgebühr von 103 Euro nur zahlen wollen, wenn diese Kinder bereits Begleiterscheinungen wie Gelenkschäden, hohen Blutdruck oder Diabetes haben.
Für die engagierte Ärztin ein unverständlicher Ansatz, gelte es doch gerade zu verhindern, dass die Kinder krank werden. Besorgnis erregend sei, dass das Problem immer jüngere Kinder treffe. Petersen: „Ursprünglich fing das erst mit 7, 8 Jahren an. Jetzt stellen wir fest, dass Kinder im Vorschulalter so dick sind, dass sie kaum noch die Treppe hochkommen.“ Diesen Trend bestätigt die Hamburger Gesundheitsbehörde durch einen Vergleich der 2004 erstmals seit langem wieder durchgeführten ärztlichen Schuleingangsuntersuchung mit der von 1997: Die Zahl der zu dicken Vorschuljungen war von rund 8,4 auf 12,1 die der Mädchen von 9,8 auf 11,9 Prozent gestiegen.
Um hier frühzeitig zu helfen, und die Schäden gering zu halten, hat Moby Dick mit den „Djungelradischen“ in Altona modellhaft eine Gruppe für Kinder von vier bis sieben Jahren eingerichtet, in der auch die Mütter und Väter mitmachen. Problem nur: außer der AOK zahlt kaum eine Krankenkasse für so junge Kinder. Würden sie das tun, so Petersen, könnte auch dieses Projekt in die Fläche gehen. Kaija Kutter
Infos: www.Mobydickhamburg.de und www.mobydicknetzwerk.de oder telefonisch unter ☎ 040/325 27 421