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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Kritische Debatte ist notwendig

■ betr.: „Sie prügelten sie zu Tode“ , taz vom 30. 3. 13

Micha Brumlik beklagt die „Unschärfe“, in der die Boykottaufrufe verfasst seien, weil sie im Unklaren belassen, was als „Besetzung“ zu verstehen sei. Mich würde interessieren, ob er seine Meinung ändern würde, falls eine eindeutige Eingrenzung auf völkerrechtswidrige Siedlungen vorgenommen werden würde. Ich glaube nicht: Sein Versuch, die potenziellen Teilnehmer eines solchen Boykotts in einen Topf mit ausgesprochenen Antisemiten und Befürwortern einer Abschaffung des israelischen Staates zu werfen, scheint zu nichts weiter zu dienen, als die Legitimität von Protest gegen die Praxis der Besiedlung von vornherein und kollektiv als antisemitisch abzustempeln. Es ist sicher notwendig, eine Verbindung der Kritik an der Besiedlungspraxis mit allem, was nach Antisemitismus stinkt, zu verhindern, aber: Kann das so weit gehen, dass wir unser (negatives) Konsumverhalten und generell unseren Einsatz für das, was wir für gut und richtig halten, durch eine auf Martin Luther zurückgehende „Erblast“ (Brumlik) bestimmen lassen? Bei aller Vorsicht gegen Geschichtsvergessenheit, letztlich wird hier doch ein Totschlagargument angeführt, das gegen jegliche Form von Protest funktioniert, also nur eines tut: Die Debatte auf ein Minenfeld aus Vorwürfen und Anschuldigungen zu ziehen, in dem sich schlussendlich keiner mehr traut, „frech zu werden“. Dabei ist eine kritische Debatte über den Boykott, seine Berechtigung, seinen Nutzen sowie seine Gefahren so notwendig … CLAUDIUS MAIER, Villingen-Schwenningen

Beklemmende Geschichtsdeutung

■ betr.: „Sie prügelten sie zu Tode“, taz vom 30. 3. 13

Brumlik setzt den aktuellen Aufruf zum Boykott israelischer Waren in Bezug zu den menschenverachtenden Ereignissen am 1. April 1933 und argumentiert, dass dieser Boykottappell moralisch nicht zu verantworten sei. Das ist eine beklemmende Geschichtsdeutung.

Das marodierende Treiben von SA-Schergen und den Freibrief zur Ermordung von Juden mit einer Aktion gegen die israelische Siedlungspolitik und gegen die Erniedrigung des palästinensischen Volkes und Degradierung zu Menschen zweiter Klasse zu vergleichen, verharmlost das grausame Schicksal der europäischen Juden.

Moralisch nicht zu verantworten war die Politik des Nationalsozialismus gegenüber den Juden und ist die Politik des Staates Israel gegenüber den Palästinensern. Der Autor jedoch setzt Kritiker der Besatzungspolitik und Unterjochung eines Volkes mit Feinden Israels gleich. Das ist die klassische Methode, sich nicht mit einem Unrechtstaat auseinandersetzen zu müssen und auch all die Stimmen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen in Israel zu verdrängen.

Mit den Worten „Die deutschen Juden wären froh gewesen, hätten sie im April 1933 jene politischen Spielräume gehabt, über welche die israelischen Staatsbürger arabischer Nationalität heute verfügen“ hat der Autor sich selbst diskreditiert. Das Erbe der Geschichte verbietet uns nicht, Waren aus Israel zu boykottieren, sondern es verbietet uns, wieder wegzuschauen und Unrecht nicht beim Namen zu nennen. GABRIELE MEIER-SESKE, Berlin

Es gibt eine einfache Lösung

■ betr.: „Judenboykott – der 1. April 1933“, taz vom 30. 3. 13

Die Juden in Nazi-Deutschland hätten gerne den Spielraum gehabt, welche die israelischen Staatsbürger arabischer Nationalität heute hätten, schreibt Micha Brumlik. Soll das heißen: Was wollen die Palästinenser denn – gemessen am damaligen Leid geht es ihnen in Israel doch nicht schlecht!? Daraus könnte man dann schließen: Bevor es den Palästinensern nicht genauso schlecht geht wie den Juden damals, haben sie nichts zu melden. Das wiederum hieße: Die Palästinenser sind die neuen Juden. Bleiben wir doch bei der gegenwärtigen Realität (die Geschichte vergessen wir bestimmt nicht!).

Es gibt eine recht einfache Lösung für dieses Boykott-Problem: Die im Westjordanland und im Gazastreifen produzierte Ware wird ab sofort richtig deklariert (und die Hersteller werden gerecht entlohnt). Sobald das geschieht und transparent geworden ist, hat Israel etwas Vertrauen gewonnen. Ein kleiner Schritt Richtung Frieden. Dann müssen die Waren von jüdisch-israelischen Staatsbürgern aller möglichen anderen Nationalitäten nicht mehr boykottiert werden. Wenigstens rechne ich damit, dass auf diesen friedlichen Schritt seitens der israelischen Regierung die Boykotteure vernünftig antworten werden. Aber dieser Schritt muss schon gemacht werden, da hilft kein Verweis auf 1933. Im Jahr 2013 kann man Vertrauen wagen. GERTIE BRAMMER, Karwitz-Lenzen

Heute bitte eindeutig werden

■ betr.: „Judenboykott – der 1.April 1933“, taz vom 30. 3. 13

Immer noch erfahren wir, die „nur“ Interessierten, nicht professionell damit Befassten, Neues. Dibelius, noch 1965 zu Juden distanziert, nicht beschämt, gar bußfertig, unterstützte 1933 die damalige „Stimmung“, mit den Folgen der 1918er Revolution aufzuräumen – dem Einfluss des Judentums. Er sehnte das Kaiserreich zurück. Und alle christlichen Konfessionen verschleierten das sich entwickelnde Pogrom durch Unbestimmtheit/Lavieren. Danke.

Nun aber wollen wir uns heute bemühen, eindeutig zu werden. Wir beobachten in Israel und dem Westjordanland Ausgrenzung der Palästinenser und Bereicherung durch Landnahme seitens Israels. Ist der Boykottaufruf wirklich Judenhass? Trittbrettfahren zu verhindern, folgt nach eindeutiger Situationsbeschreibung.

KLAUS WARZECHA, Wiesbaden