: Suche nach der roten Linie
Sind Verhöre von BND und BKA in Folterknästen wie Guantánamo gerechtfertigt? Da gibt es „Zielkonflikte“ im Parlament
AUS BERLIN JENS KÖNIG UND LUKAS WALLRAFF
„Das Bild ist runder geworden“, sagt Wolfgang Wieland nach dem zweiten Tag der versuchten Aufklärung im Bundestag. Der grüne Abgeordnete zeigt sich zufrieden, dass die Regierung zur so genannten CIA-Affäre doch noch einige Informationen herausgegeben hat. „Aber“, fügt Wieland hinzu, „das Bild ist nicht erfreulicher geworden.“
Wieland, im Nebenberuf Rechtsanwalt, ist bei den Grünen zuständig für innere Sicherheit. Unerfreulich findet er vor allem jene Informationen, die Innenminister Wolfgang Schäuble im Parlament zur Überraschung aller preisgab: Deutsche Sicherheitskräfte haben Gefangene in Guantánamo und in einem syrischen Folterknast verhört. Damit erreichte der CIA-Skandal eine neue Qualität. Es geht nicht mehr „nur“ um dubiose bis brutale US-Methoden im Antiterrorkampf und stille Mitwisser in Berlin. Jetzt geht es um dubiose Vorgehensweisen der eigenen, deutschen Behörden. Und Wieland zieht am Ende dieser zwei Tage im Parlament eine niederschmetternde Bilanz: Es gab „eine deutliche Überschreitung der roten Linie“.
Die rote Linie. Sie fehlt in kaum einem Politikerstatement, wenn es um Terror, Entführungen und Folter geht. Die rote Linie, da sind sich alle Parteien einig, darf keinesfalls überschritten werden. Das klingt natürlich entschlossen. Alle halten sich daran fest. Hinter der roten Linie – das wäre, ja, was genau eigentlich? Die direkte Beteiligung deutscher Behörden an Folter? Oder schon die Nutzung von Erkenntnissen, die durch Folter erpresst wurden? Je mehr Details über den deutschen und amerikanischen Antiterrorkampf bekannt werden, desto schwerer fällt es der Politik, eine Grenze zu ziehen.
Nur eines scheint noch klar zu sein: dass Deutsche selbst nicht foltern dürfen. Alles andere steht seit Schäubles Offenbarungen in Frage. Für den CDU-Politiker Ruprecht Polenz, Chef des Auswärtigen Ausschusses, ist die rote Linie jedenfalls noch nicht erreicht, wenn deutsche Ermittler im Ausland Gefangene verhören, die dort ohne jede Rechte festgehalten werden. So wie im Fall des „Bremer Taliban“, des türkischstämmigen Murat Kurnaz, der seit vier Jahren im US-Lager Guantánamo auf Kuba einsitzt. Oder so wie im Fall des Deutschsyrers Mohammed Haidar Zammar, der in Damaskus gefangen gehalten wird. „Wenn es Hinweise gibt – und die gab es wohl –, dass dort wichtige Informationen durch Befragung deutscher Dienste erreichbar wären“, findet Polenz, „dann hätte ich es persönlich für einen Fehler gehalten, wenn man gesagt hätte: Das machen wir nicht.“ Sein Fraktionsvize Wolfgang Bosbach stimmt ihm da zu. Er hat Verständnis für solche Verhöre, wenn dadurch „Anschläge in Deutschland verhindert werden können“. Aber wer weiß das vorher schon?
Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte gestern im Auswärtigen Ausschuss, es wäre fahrlässig gewesen, einen der Hauptverdächtigen für die Terroranschläge vom 11. September 2001 nicht zu vernehmen. Es habe vorher immerhin zehn Versuche gegeben, Zammar durch deutsche Botschaftsvertreter zu befragen. Die Syrer hätten das abgelehnt. Sie erkennen Zammars deutschen Pass nicht an. Nach einem Deal der Bundesregierung mit den Syrern durfte im Sommer 2002 eine Delegation von BND, BKA und Verfassungsschutz Zammar im Gefängnis besuchen und befragen. „Das ist eine schwierige Abwägung“, findet Jürgen Trittin, der neue grüne Außenpolitiker. „Will man jemanden, der sowieso einsitzt und in Syrien bleiben muss, nicht vernehmen und auf mögliche Erkenntnisse verzichten?“ Trittin nennt das einen „Zielkonflikt“.
Aber Zammar gab gegenüber den Deutschen an, gefoltert worden zu sein. Seine Aussagen scheinen glaubwürdig. „Der sitzt in Damaskus ja nicht im Sheraton-Hotel“, sagt Werner Hoyer von der FDP. Der Fall Zammar berührt ein Grundproblem des Antiterrorkampfes, in dem es immer weniger auf Armeen und immer mehr auf Geheimdienste ankommt. Auf Geheimdienste, die zusammenarbeiten, wohlgemerkt. „Profitieren wir von Folter im Informationsaustausch?“, fragt sich die grüne Innenpolitik-Expertin Silke Stokar. Für Max Stadler, den Liberalen, gibt es eine klare Grenze. „Bei der aktiven Informationsbeschaffung jedenfalls dürfen wir bestimmte Regeln nicht brechen.“ Und wenn Zammar nicht von Deutschen verhört worden wäre? Hätte die Bundesregierung „nur“ indirekt von Informationen profitiert, die die CIA durch Folter gewonnen hat?
Das sind so Gewissensfragen. Ein möglicher Untersuchungsausschuss des Bundestages könnte sie nicht klären. Ob es überhaupt einen gibt, wird wohl erst im Januar entschieden. Das Europaparlament hingegen hat gestern schon mal die Einsetzung eines U-Ausschusses zu den CIA-Gefangenentransporten beschlossen.