: Die Macht der Muster
Regisseur Till Rickelt hebt im Freien Werkstatt Theater Köln ein brisantes Thema auf die Bretter:den Ehrenmord. Doch über die spezifisch türkische Problematik geht „Wegen der Ehre“ weit hinaus
VON HOLGER MÖHLMANN
Ehre. Das Wort hat einen edlen Klang. Ob Ehrendoktor, Ehrenbürger oder Ehrenamt – all diese Begriffe sprechen von einem hohen ethischen Gut. Ein Produkt hoch entwickelter Zivilisation scheint diese Ehre zu sein, dabei ist sie ein uralter Kampfbegriff, bei dem es einst um Sicherheit ging: Wer die Ehre seines Hauses schützte, bot keine Angriffsflächen und stärkte so den Zusammenhalt der Gemeinschaft, in der er lebte. Im Gegenzug konnte er sich auf ihren lebensnotwendigen Schutz verlassen.
Etwas Archaisches schwingt mit, wenn von der Ehre die Rede ist. Und etwas Gewalttätiges: Die sensible Ehre muss ständig verteidigt werden, zur Not unter größten Opfern. Der Zusammenhang zwischen Ehre und Sterben lässt sich heute auf jedem Soldatenfriedhof besichtigen. Doch zumindest in Deutschland gibt es den „Heldentod“ schon lange nicht mehr. Dafür gibt es etwas Anderes: den „Ehrenmord“. Und dessen Opfer sind fast immer Frauen. Auf weltweit mindestens 5.000 pro Jahr schätzt die UNO die Zahl der im Namen der Ehre von ihren Vätern, Ehemännern und Brüdern ermordeten Mädchen und Frauen. In Deutschland waren es in den vergangenen zehn Jahren fünfzig.
Das Freie Werkstatt Theater Köln bringt das brisante Thema nun erstmals auf die Bühne: „Wegen der Ehre“ heißt das Stück von Sema Meray, das unter dem Eindruck des knapp ein Jahr zurückliegenden „Ehrenmordes“ an Hatun Sürüçü in Berlin entstanden ist und nun in der Kölner Südstadt uraufgeführt wurde. Meray, in Deutschland aufgewachsene Türkin der zweiten Generation, spielt Yale, eine in Köln geborene Türkin, die nach der Trennung von ihrem Mann in die Heimatstadt zurückkehrt. Mit ihrer 16-jährigen Tochter zieht sie in eine eigene Wohnung, und hier, zwischen Umzugskisten und noch verpackten Billy-Regalen, spielt er sich ab: Yales Konflikt mit Bruder und Vater, die nacheinander auftauchen, um sie zur Rückkehr ins sittsame Elternhaus zu bewegen. Doch so sehr die beiden sie auch bitten, bedrängen und bedrohen – Yale verteidigt ihren Traum vom freien Leben, auch als eine Waffe ins Spiel kommt.
„Wegen der Ehre“ ist ein Thesenstück, in dem viele bedeutungsschwere Sätze fallen, und doch kommt die Inszenierung von Till Rickelt mit einem Minimum an Betroffenheit aus. Im Mittelpunkt steht die Ambivalenz der Figuren, ihre offensichtliche Hilflosigkeit angesichts aufgeladener Begriffe wie Ehre, Familie und Anstand: Wo genau steht eine Yale, die ihr Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung einfordert, der Tochter aber das allzu knappe Top verbietet und sich nach einer diensteifrigen Mutter zurücksehnt, die ihr das Obst mundgerecht servierte? Wo steht ihr Bruder, der den Eltern die deutsche Freundin verschweigt und aus Angst um seine Männlichkeit jede Sensibilität unterdrückt? Und wo schließlich steht der Vater, der zwanghaft und hilflos zugleich mit der Pistole herumfuchtelt?
Auch wenn für Januar eine türkischsprachige Fassung des Stücks geplant ist, auch wenn das Ensemble aus türkischen und deutschen SchauspielerInnen besteht und zahlreiche Aufführungen vor Schulklassen mit hohem Ausländeranteil geplant sind – über die spezifisch türkische Ehrenproblematik geht die Inszenierung weit hinaus. Sie handelt vielmehr von der grundsätzlichen Macht kultureller Muster und von der Schwierigkeit, ihnen gegenüber die richtige Mischung aus Zustimmung und Abgrenzung zu finden. Um es gleich zu verraten: In diesem Stück gibt es keine Toten. Nur jede Menge lebendiger Opfer.
18. Dezember, 16. + 17. JanauarInfos + Karten: 0221-327 817