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Archiv-Artikel

Unerschrockene Zwischenruferin

Mit der lettischen Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga wird zum ersten Mal die Inhaberin eines öffentlichen Amtes mit dem Hannah Arendt-Preis gewürdigt

Von grä

Bremen taz ■ Vaira Vike-Freiberga zögerte nicht mit ihrer Antwort. „Erstaunlich“ finde sie es, dass Alt-Bundeskanzler Schröder gedenke, in den Aufsichtsrat eines Unternehmens der russischen Staatsgesellschaft Gasprom zu wechseln. „In den meisten demokratischen Staaten, die ich kenne, würde man hier von einem Interessenskonflikt ausgehen“, sagte die lettische Präsidentin mit jener Deutlichkeit, für die sie gestern mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken gewürdigt wurde.

Vike-Freiberga stehe mit ihrem Engagement für die Europäische Union in der Nachfolge Hannah Arendts, meinte Ralf Fücks vom Vorstand der Böll-Stiftung. „Dieses Europa ist nicht nur Binnenmarkt. Sondern ein Projekt der Freiheit und Demokratie: Dafür steht Frau Vike-Freiberga“. So fiel die Entscheidung über den mit 7.500 Euro dotierten Preis, der seit 1994 von der Heinrich-Böll-Stiftung Bremen und dem Bremischen Senat vergeben wird, einstimmig auf die streitbare Präsidentin.

Man wolle sie dabei nicht nur als „Erinnerungspolitikerin“ der baltischen Staaten unter russischer Hegemonie auszeichnen, betonte die Jury-Vorsitzende Antonia Grunenberg. „Wir fanden das Pragmatische, mit dem sie Dissens nicht nur als Hindernis, sondern auch als Beginn von etwas Neuem auffasst, erfrischend.“ Ein Pragmatismus, den man sich möglicherweise im Exil erwirbt. Vike-Freiberga flüchtete siebenjährig mit ihrer Familie vor der russischen Armee nach Kanada. Dort lehrte sie als Psychologie-Professorin in Toronto und kehrte erst 1998 nach Lettland zurück, wo sie im folgenden Jahr zur Präsidentin gewählt wurde. 2003 bestätigte man sie im Amt. Vielleicht ist es gerade die scheinbare Diskrepanz zwischen der geringen Größe ihres Landes und der Offenheit ihrer Kritik, die ihr immer wieder die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit verschafft. So scheut sie sich nicht, immer wieder an die Erfahrung der russischen Diktatur zu erinnern, die sie als Teil der gesamteuropäischen Erinnerungskultur begreift. In einer Erklärung vor dem von Moskau feierlich begangenen 60. Jahrestages des Kriegsendes erklärte sie, die „beiden totalitären Tyrannen“ Hitler und Stalin hätten mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt die Grundlage zu einem „Konflikt ohnegleichen in der Geschichte“ gelegt. Aber auch in der aktuellen Diskussion um die Gestaltung der Europäischen Union meldet sich Vike-Freiberga deutlich zu Wort. „Die Solidarität schmilzt jetzt wie Schnee in der Sonne“, sagte sie, befragt zu den laufenden Haushaltsverhandlungen. „Die neuen Staaten haben die Vereinbarungen von Lissabon ernst genommen. Wie viel ist in diesem Ländern geschehen!“, so die Präsidentin. „Und wo stehen die Alt-Mitglieder?“

Über den begrenzten Einfluss ihrer Position macht sich Vike-Freiberga zumindest in Bezug auf die russische Seite keine Illusionen. „Wir können nicht für die Russen Verantwortung übernehmen“. Doch auch wenn sie auf der Regierungsseite wenig Bewegung sieht, glaubt sie, dass die Bevölkerung bereits „viel kritischer“ mit der eigenen Geschichte umgehe. Und nur auf diesem Wege, so die lettische Präsidentin, „wird man frei von der eigenen Vergangenheit“. grä