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Archiv-Artikel

Groteske Fahrlässigkeit

CHAMPIONS LEAGUE Das torlose Remis in Malaga offenbart die mangelnde Reife der Dortmunder Offensive. Weil die Defensive jedoch stabiler steht, genügt der Borussia im Rückspiel ein knapper Sieg für den Einzug ins Halbfinale

„Vielleicht habe ich mir ja auch nur den Schuh gebunden“

MARIO GÖTZE ZU SEINER PINKELPAUSE HINTER DER WERBEBANDE

AUS MALAGA DANIEL THEWELEIT

Die Rolle des Mahners, der das Schöne und das Positive ignoriert, um in den Wunden zu stochern und die Ruhe zu stören, liegt nicht vielen Menschen so gut wie Matthias Sammer oder Karl-Hein Rummenigge, den strengen Herren aus dem Führungszirkel des FC Bayern. Borussia Dortmund wird im Gegensatz zum Rekordmeister von Menschen mit Neigung zur öffentlichen Schwärmerei geführt, und dieses Talent haben sie ausgiebig ausgelebt in der laufenden Champions-League-Saison.

Nach dem 0:0 beim FC Malaga waren Lobeshymnen allerdings nicht die adäquate Reaktion. Und weil Trainer, Manager und Geschäftsführer das eigene Team nur ungern öffentlich kritisieren, übernahm der Kapitän den schmutzigen Job, der nun einmal erledigt werden musste. Mit ernstem Gesicht rüttelte Sebastian Kehl die Alarmglocke. „Das hier ist definitiv ein gefährliches Ergebnis, ein einziges Auswärtstor für Malaga bedeutet schon, dass wir zwei schießen müssen“, trug der Routinier vor. Der FC Malaga sei „eine gefährliche Mannschaft“, ein Team, das sich nicht aus der Ruhe bringen lasse. Kehl war seine Sorge anzumerken. Denn der BVB war zwar defensiv sehr stabil geblieben, hatte gut, in einigen Phasen sogar sehr gut gespielt, doch die Fahrlässigkeit vor dem gegnerischen Tor war Indiz einer bedenklichen Unreife, die in diesem Dortmunder Champions-League-Jahr so noch nicht zu sehen war.

Mit den spektakulären Europapokalpartien der vergangenen Monate sind die Dortmunder ja in die Rolle eines Geheimtipps – zumindest für eine Finalteilnahme – hineingeraten, nun wurden alte Zweifel an der Tauglichkeit des BVB reanimiert. Denn ganz oben auf dem Champions-League-Gipfel verlieren Leidenschaft und fußballerische Brillanz an Bedeutung, während Effizienz immer wichtiger wird. Und genau hier sieht Jürgen Klopp die größten Defizite seines Teams. „Die Klarheit im Abschluss ist vielleicht der Bereich, in dem wir noch die größten Verbesserungspotenziale haben“, sagte der Trainer am späten Mittwochabend, nachdem Mario Götze, Marco Reus und Robert Lewandowski allerbeste Torgelegenheiten zum Teil mit grotesker Fahrlässigkeit vergeudet hatten.

Tiefer wollte Klopp nicht auf die Probleme vor des Gegners Tor eingehen, vielmehr war er trotz der Verschwendungssucht seiner Offensive bemüht, die Fortschritte gegenüber der vorigen Europapokalsaison in den Fokus zu rücken. Damals sei es „häufig passiert, dass wir nach vergebenen Chancen selbst unter Druck geraten sind und ein Gegentor zugelassen haben“, sagte er. An diesem Abend war sein Team stabil geblieben. Und je näher der Abpfiff rückte, desto stärker beschränkten die Dortmunder sich darauf, ein Tor der Spanier zu verhindern. „Ich finde, nachdem wir unsere Torchancen nicht genutzt haben, ist es dann ein weiterer Entwicklungsschritt für uns, die Ruhe zu bewahren und eben auch das Ergebnis mitzunehmen“, stellte Klopp zufrieden fest.

Der BVB bleibt die einzige Mannschaft, die im laufenden Wettbewerb noch ungeschlagen ist, sie haben in vielen Phasen der ersten Hälfte großartig gespielt, und die Chancen am kommenden Dienstag das Halbfinale zu erreichen, sind nach diesem Andalusien-Trip eher größer als vor diesem Hinspiel. Aber der BVB wäre nicht das erste Team, das mit viel Leidenschaft an der Erfahrung und der kühlen Effizienz eines eigentlich schwächeren Gegners scheitert. „Unsere Chancen stehen weiterhin bei 50:50“, sagte der ehemalige Münchner Roque Santa Cruz, der inzwischen in Malaga unter Vertrag steht, „wir können befreit aufspielen, der Druck liegt jetzt bei Dortmund.“

Direkt neben dem Paraguayer stand Mario Götze, der nach seinen vergebenen Großchancen wie ein bedröppelter Junge wirkte. Er bekannte: „Gerade in so einem Spiel, wo es um so viel geht, ist es umso wichtiger, die Möglichkeiten zu nutzen, das ist meiner Person nicht gelungen.“ Götze verkörperte an diesem Abend auch aus einem anderen Grund den Dortmunder Mangel an Fokussiertheit. Er musste sich rund um die Partie auf einem klassischen Nebenkriegsschauplatz herumärgern. Während des Abschlusstrainings hatte der 20-Jährige hinter eine Bande gepinkelt, was von einer Kamera aufgezeichnet worden war und zu verärgerten Reaktionen in der spanischen Presse führte. „Vielleicht habe ich mir ja auch nur den Schuh gebunden“, versuchte er sich herauszureden. Aber die Bilder waren eindeutig. „So wichtig ist das ja auch nicht“, meinte Götze, als er merkte, dass er überführt war, und da hat er natürlich recht.