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Archiv-Artikel

FRANZISKUS, DER STADTPFARRER UND DIE FRAUEN Die existenziellen Ränder der Katholikinnen

VON ULRICH GUTMAIR

Am meisten nerve ihn an Markus Lanz, dass der bei jeder Gelegenheit erwähne, Ministrant gewesen zu sein, sagte mein Vater. Das mache ich auch, antwortete ich. Was meinen Vater aber nicht überzeugt hat. Vielleicht hat er recht, es gibt einen Unterscheid zwischen Markus Lanz und mir. Ich fühle mich selten rechtschaffen. Und wenn, dann hebe ich es mir für diese Kolumne auf.

Weihnachten ist für Pussys, die aus Nostalgie für ein paar Tage zu Wohlfühlchristen werden. Das passt gut zu einem Fest, das es nur gibt, damit die Heiden weiter Sonnwend feiern können. Ostern dagegen! Für agnostische Exministranten und andere Nerds ist Ostern die Zeit, in der Katholizismus am katholischsten ist. Am Freitag wird nur geklappert, nicht geklingelt, am Samstag geschwiegen: Jesus tot. Noch vor Morgengrauen des Ostersonntags gehen alle Lichter an. Auferstehung, Frühling, neues Leben, wunderbar.

Ich war sehr lange aus gewesen in der örtlichen Bar, in der man die Sperrstunde weit überzogen hatte. Felix hatte von den goldenen Tagen Westberlins erzählt, als er bei Siemens 5.000 Mark verdiente, die er dafür bekam, dass er die Lochkarten der türkischen Gastarbeiter kontrollierte.

Statt schlafen zu gehen, hatte ich Espresso getrunken und gemütlich Osterbrot mit Butter und Kirschmarmelade gegessen. Gestärkt ging ich zur Stadtpfarrkirche und nahm, dem Tipp des Vaters folgend, die Treppe zur Empore. Dort angekommen, setzte ich mich auf einen freien Platz neben einer strahlenden alten Franziskanerin und schaute mir alles von oben an. Es sah anders aus als früher.

Der neue Stadtpfarrer hatte für die Lesungen und zum Verteilen des Brots ausschließlich Frauen engagiert. Wenn er die Gemeinde ansprach, sagte er nicht „Brüder und Schwestern“, sondern „Schwestern und Brüder“. Gender Mainstreaming in der Kirche finde ich gut, hilft aber nichts gegen schlampiges Schwenken des Weihrauchfasses mit einer Hand. Da hatten wir in der benachbarten Klosterkirche den besseren Style gezeigt. Mit einer Hand den Ring gehalten, mit der anderen die Ketten.

Aber das sind Details, die nur Exministranten interessieren. Am Gründonnerstag, beim entscheidenden Happening, war ich nicht in der Messe gewesen. Der neue Stadtpfarrer hatte die liturgische Regel missachtet, wonach Priester nur Männern die Füße waschen dürfen – wie der neue Papst, der am selben Tag in einem italienischen Knast jungen Frauen die Füße gewaschen und geküsst hat. Vor dem Konklave hatte Jorge Bergoglio gesagt, der neue Papst müsse der Kirche dabei helfen, an die „existenziellen Ränder“ zu gehen, um eine „fruchtbare Mutter“ werden zu können. Den Blogs der Legalisten, die mit dem Akt der Frauenfußwaschung sympathisieren, die Missachtung der Regel aber für problematisch halten, kann man entnehmen, dass der Papst sich qua Amt viel erlauben kann.

Unter den symbolischen Vertretern der Apostel, denen der neue Stadtpfarrer die Füße wusch, befanden sich eine Mutter, eine Ministrantin und eine Nonne. Es waren also fast alle Funktionen vertreten, die man als weiblicher Mensch im Patriarchat ausüben darf. Es fehlten nur Hure und Oma.

Ich freute mich trotzdem. Die existenziellen Ränder, die Füße der Frauen, erfahren in der Kirche endlich Aufmerksamkeit! Meine Frau fand es bloß albern. „Nach 2.000 Jahren haben sie gemerkt, dass es Frauen gibt“, sagte sie. „Herzlichen Glückwunsch.“