: Der große Hunger
„Wir werden beerdigt“: Aus Protest gegen die Renditevorgaben der neuen Eigner verlassen die ersten Führungskräfte den Berliner Verlag
Von HANNAH PILARCZYK
Am Freitag schmiss der erste entnervt das Handtuch: Wegen „unterschiedlicher Auffassungen über die Ausrichtung des Verlags“ wird der Chefredakteur des Berliner Stadtmagazins Tip, Karl Hermann, den Berliner Verlag verlassen. Gestern kündigte nun auch Co-Geschäftsführer Oliver Rohloff – er will die Sparpläne der neuen Eigner um David „Heuschrecke“ Montgomery und Co. wohl auch nicht mittragen und geht wie Hermann zum Jahresende.
Holtzbrinck hatte den Verlag (Berliner Zeitung, Berliner Kurier) im Oktober trotz wütender Proteste der Belegschaft und anderer Medien an ein Finanzkonsortium um den britischen Investor Montgomery verkauft. Was damals befürchtet wurde – nämlich die Ausschlachtung des Verlags, um kurzfristig hohe Renditen zu erzielen – hat sich übers Wochenende bestätigt. Seitdem sind nämlich die Geschäftsvorgaben für die kommenden Jahre bekannt: Die Rendite soll von derzeit 12 Prozent stufenweise bis 2008 auf 21 Prozent gesteigert werden. „Wenn das so umgesetzt wird, dann werden wir als Verlag beerdigt“, kommentiert Betriebsratsvorsitzende Renate Gensch die Pläne.
Zur Verdeutlichung: 2005 macht der Verlag am Berliner Alexanderplatz einen Gewinn von rund 14,5 Millionen Euro. Innerhalb von drei Jahren soll dieser auf 26,7 Millionen Euro angehoben werden. Wo man zusätzliche 10 Millionen hernehmen soll, ist dabei völlig unklar. Nach dem rigiden Sparkurs der letzten Jahre gilt das Haus eigentlich als „gesundgespart“. Doch wegen der Renditevorgaben sind auf einmal wieder Entlassungen im Gespräch. Rund 100 der insgesamt 750 Beschäftigten sollen gehen – ein Abfindungsfonds in dreistelliger Millionenhöhe soll in den Plänen von Geschäftsführer Peter Skulimma bereits veranschlagt sein.
Bis zum 1. März sollen nun verlagsinterne Arbeitsgruppen Vorschläge erarbeiten, wo noch gespart werden könnte. Bei der Berliner Zeitung wird kaum mehr etwas zu holen sein, sie ist bereits personell so ausgedünnt, dass weitere Kürzungen ihren Absturz von der überregionalen Qualitätszeitung zum profillosen Lokalblatt besiegeln würde. Viel eher wird wohl im Verlag und im Boulevard-Blatt Berliner Kurier geholzt werden. Der Kurier könnte mit den ebenfalls zum Verlag gehörenden Anzeigenblättern zusammengelegt und zu einer Gratiszeitung umgebaut werden. Schon vor mehr als fünf Jahren produzierte die Redaktion des Kurier parallel und probeweise eine Kostenlosversion des Mutterblattes.
Bis in diesen Angelegenheiten Sicherheit herrscht, wollen viele im Verlag aber nicht warten. Eine Gruppe von rund hundert Beschäftigten überlegt bereits, sich über einen Trick mit den 2006 anstehenden Betriebsratswahlen vor Kündigungen zu schützen. Eine Kandidatur für den Betriebsrat hat nämlich einen erweiterten Kündigungsschutz von sechs Monaten zur Folge. Mit dieser Regelung sollen etwaige Eingriffe seitens der Geschäftsleitung auf die Zusammensetzung des Gremiums abgewehrt werden. Intern sind diese Vorschläge jedoch umstritten, da manche einen blockierten Betriebsrat befürchten, der in den entscheidenden Verhandlungen nicht geschlossen aufzutreten vermag.
Wer nach Hermann und Rohloff als Nächstes gehen wird, gilt verlagsintern indes schon als sicher: Es soll Uwe Vorkötter, der Chefredakteur der Berliner Zeitung, sein. Er hatte bereits kurz nach der Übernahme seine Demission angeboten. Damals wollte und konnte man wohl nicht auf ihn verzichten, der trotz seines vehementen Kampfes gegen Montgomery stets immer auch als Integrationsfigur vermitteln konnte. Nun heißt es, dass Vorkötter schon zum Februar die Zeitung verlassen könnte.