GROSSBRITANNIEN IM WINTER
: Service auf Eis gelegt

TRENDS UND DEMUT

JULIA GROSSE

Leise rieselt der Schnee und die Briten bekommen Panik. Wissen nicht, was sie tun sollen mit den plötzlichen Massen an drei Zentimeter hoher, matschgrauer Pracht, stolpern durch die Straßen und versuchen, den unerbittlichen minus 1 Grad mit ihren lustigen, bunten Gummistiefeln zu trotzen.

Schulen blieben geschlossen, Züge fielen aus und Läden, die Post und Banken schlossen früher und in einer Konsequenz, wie es in einer täglich stur weiter mahlenden Metropole wie London höchstens Terrorwarnungen schaffen. Doch warum eigentlich diese Angst vor der Wetterlage, wenn zu Hause am Telefon die unerschütterliche, jenseits aller Nachtruhen und Feiertage freundlich helfende Customer-Service-Front wartet? Der völlig flexibilisierte, stets bereite Kundenberater, der den Briten bei fast allem, was sie tun, durchs Leben hilft?

Von der liebevollen Schuldnerberatung, der Gebrauchsanweisung für die neue Mikrowelle („Bitte stecken Sie nichts zum Trocknen hinein!“) bis hin zu der Frage, wie das Wetter im Norden Londons wird und wo der längste Stau lauert. Die Briten sind Service-verwöhnt und dürfen alles fragen. Die schönste Frage bei einer aktuellen Versicherungshotline rund um den Schnee: „Mein Auto wurde gestohlen, während ich im Haus darauf wartete, dass der laufende Motor die zugefrorenen Fenster enteist. Wird meine Versicherung den Diebstahl zahlen?“ Und bei so einer Frage muss ein Kundenberater noch recht freundlich bleiben. Herrlich.

Doch nun ist etwas passiert, was sich für die Briten anfühlen muss, als hätte man ihnen die Navigation durch den Alltag abgeklemmt: Selbst der immer präsente Kundenservice wurde eingeschneit. Vom Internetanbieter übers Mobiltelefonunternehmen bis zum Onlinebanking: Plötzlich wurde per Eilmeldung vom Band verkündet, dass Anrufer momentan noch viel länger in den Warteschlangen abhängen müssen, da einige Servicemitarbeiter durch den Wintereinbruch nicht zur Arbeit kämen.

Nicht zur Arbeit kommen? Vielleicht ist es genau diese konkrete, fast persönlich anmutende Nachricht aus dem Zentrum der virtuellen Kommunikation, die für Verwirrung sorgt. Denn die Briten stellen sich ihren Customer Service vor wie eine unangreifbare Insel, ausgelagert, irgendwo im Nirgendwo. Sie sind über Jahre bei ein und derselben Bank oder Versicherung und sprechen in dieser Zeit kein einziges Mal mit demselben Kundenberater. Und nun soll ausgerechnet diese Armee aus Helfern im Schnee feststecken?

Tatsächlich haben die meisten Servicemitarbeiter der Banken und Gasanbieter mit dem Schnee doch überhaupt nichts am Hut, denn sie sitzen ja nicht in Birmingham, sondern in Bangalore! Und nicht dass es schon absurd genug ist, dass ich in London sitze und am Telefon einen überarbeiteten, schlecht bezahlten indischen Kundenberater frage, ob es morgen in London wieder schneien wird: Jetzt werden die sonst so gern genutzten Vorteile der Globalisierung und das heimische, europäische Wetter auch noch gegeneinander ausgespielt! Glokal daneben.

■ Julia Grosse ist taz-Kulturreporterin in London