: Dicke Luft im Klassenzimmer
Die Belastung der Schulräume mit Feinstaub ist laut einer Studie immer noch zu hoch, kritisieren die Grünen. Sie fordern einen Aktionsplan und neue Grenzwerte. Senat: Handeln müssen die Schulleiter
VON HEIKE SCHMIDT
Die Feinstaubbelastung in Klassenzimmern ist weiterhin zu hoch. Das kritisierten gestern die Grünen. Sie berufen sich auf eine Studie von Klaus Bolst von der Universität Bochum vom vergangenen November. Der Spezialist für Wohngifte hat die Luft an zwei Kreuzberger Schulen untersucht. Seine Ergebnisse sind alarmierend: Bolst stellte fest, dass die für die Außenluft zulässigen Grenzwerte für Feinstaub dort um das Vier- bis Sechsfache überschritten werden.
In der Heinrich-Zille-Grundschule wurden Ende November bis zu 300 Mikrogramm je Kubikmeter gemessen, in der Lina-Morgenstern-Oberschule lag der Spitzenwert bei 245 Mikrogramm je Kubikmeter. Erlaubt sind 50 Mikrogramm. Auch der in den Zimmern gemessene Kohlendioxidgehalt lag um ein Mehrfaches über dem der Außenluft.
Das Feinstaubproblem an den Schulen ist nicht neu. Das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) hat die Luftqualität an 40 Schulen im Zeitraum zwischen 2002 und 2004 überprüft. Die Studie deckte zum Teil massive Grenzwertüberschreitungen auf. Betroffen waren 90 Prozent aller untersuchten Klassenzimmer.
Zum 1. Januar 2005 hatte die EU die Grenzwerte für Feinstaub in der Außenluft auf 50 Mikrogramm je Kubikmeter festgesetzt. Für Innenräume gibt es bisher noch keinen EU-Grenzwert. Im Gegensatz zu Großstaub, also etwa normaler Hausstaub, lagern sich Feinstaubpartikel auf der Lunge ab und werden über die Atemwege nicht wieder ausgeschieden. Feinstaub kann krebserregend sein. Quellen dafür in Räumen sind insbesondere altes Mauerwerk sowie Haut- und Kleidungsabrieb.
Die Fraktion der Grünen sieht aufgrund der alarmierenden Zahlen dringenden Handlungsbedarf. „Die Anregungen aus der Studie des LAGetSi haben zu keinerlei Anstrengungen geführt“, sagt Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen. Deshalb fordert seine Fraktion einen sofortigen Aktionsplan. Oberste Priorität müsse dabei die Definition eines Raumluftstandards haben, der dem Außenluftstandard nahe kommt.
An den Schulen sollten verbindliche Lüftungspläne festgelegt werden und die baulichen Voraussetzungen getroffen werden, damit diese auch umsetzbar sind. In vielen Schulen könnten die Fenster nicht geöffnet werden. „Oft ist die Bausubstanz so marode, dass die Fenster aus Sicherheitsgründen verschraubt werden“, bestätigt Manfred Triebe, Arbeitsschutzexperte der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Dabei senke schon eine Stoßlüftung von 5 bis 15 Minuten die Feinstaubkonzentration auf Außenniveau, sagt Ingenieur Bolst.
Auch eine wirkungsvolle Reinigungsstrategie muss nach Meinung der Grünen erarbeitet werden. Denkbar sind Feuchtreinigung oder der Einsatz geeigneter Luftfilterungstechnik. Laut Klaus Bolst kosten leistungsstarke Geräte zwischen 500 und 900 Euro.
„Wir müssen ein höheres Bewusstsein für die Problematik schaffen“, gibt Jens Stiller zu, der Pressereferent der Senatsverwaltung für Bildung. Auch er weiß um die Missstände an den Schulen, sieht aber vielmehr die Schulleiter in der Pflicht. „Es geht nur mit mehr Engagement vor Ort. Wir sehen den neuen Schulleiter als Macher, der auch die Reinigungskräfte kontrolliert.“ Überdies habe der Senat bereits im September in einem Rundschreiben auf die Feinstaubproblematik aufmerksam gemacht.
„Bis auf das Rundschreiben ist nichts passiert, obwohl die LAGetSi-Studie schon über ein Jahr alt ist“, kritisiert Manfred Triebe von der GEW. „Der Senator sagt, er hat damit nichts zu tun. Der Schulträger sagt, er hat kein Geld. So werden die Zuständigkeiten hin- und hergeschoben und man versucht, die Problematik auszusitzen.“
Eine der Hauptquellen für Feinstaub ist der Abrieb von menschlicher Haut und Kleidung. Nach neuesten pädagogischen Konzepten bewegen sich die Kinder im Unterricht sehr viel – produzieren also viel Feinstaub. Die Forderung, „zurück zum Frontalunterricht“, um der Problematik Herr zu werden, wird aber hoffentlich kein Betroffener erheben.