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Archiv-Artikel

Hühner, Eier und Tsunamis

Was tun mit einem teuren Monsterwellen-Warnsystem, wenn keine Katastrophe kommt? Findige Schleswig-Holsteiner wollen Fischer, Retter und Grenzschützer mit einer Flut von Daten versorgen

von Esther Geißlinger

„In Lettland auf einen Tsunami zu warten, ist ziemlich absurd“, findet Berndhardt Schell. Auch an vielen anderen Küsten sind Monsterwellen eher unwahrscheinlich – dennoch wollen der Mann von Raytheon-Anschütz und andere Firmen aus Schleswig-Holstein weltweit ein System verkaufen, das vor allem vor Tsunamis warnt.

Radar, Messgeräte zu Land und Wasser, ein Datenzentrum in Büsum und ein Warnsystem sorgen für eine Flut von Informationen aus dem Meer, aus denen jeder Benutzer die herausfiltern kann, die für ihn wichtig sind. Schell ist so begeistert von dem System, dass er beim Termin in der Kieler Raytheon-Halle nicht einmal Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) zu Wort kommen lässt. Das ist schlecht, denn Austermann hat das Geld dabei. 3,2 Millionen Euro kostet es, das System in der Nordsee zu installieren, ein Zeitraum von drei Jahren wird dafür gebraucht, los geht es 2006.

Etwa die Hälfte der Summe spendiert das Land aus dem Schleswig-Holstein-Fonds, der trotz der Armut des Landes gut gefüllt ist und Projekte unterstützten soll, die Innovationen und Arbeitsplätze versprechen. Dies sieht Austermann hier gegeben: Wenn alles gut läuft, überzeugt das Beispiel Nordsee vielleicht Sri Lanka, die Seychellen oder China, das System zu kaufen. Das Problem: Zurzeit wird nur von den Programmen geredet, die die Bundesregierung unterstützt, vor allem Forschungsprojekte in Potsdam. „Das ärgert uns“, gibt Austermann zu. Die Kieler Regierung hatte sich um Berliner Hilfe für das Nordprojekt bemüht – ohne Erfolg. „Dann machen wir etwas Eigenes – und besser“, sagt Austermann. Die Frage wird sein, ob sich das rentiert. Schell findet einen jahreszeitlich unpassenden Vergleich: „Das Huhn legt die Eier, der Osterhase malt sich bunt an – alle Welt redet vom Hasen und vergisst das Huhn.“ Auch die Potsdamer Tsunami-Warner benutzten schließlich Technologie aus Schleswig-Holstein.

Das System entstand als Folge der Tsunami-Katastrophe vor fast genau einem Jahr in einem Workshop mit Wissenschaftlern und Fachleuten. „Wir haben überlegt: Ein Land kauft für fünf bis zehn Millionen Euro ein Frühwarnsystem – aber was bringt das, wenn kein Tsunami kommt?“, erklärt Raytheon-Chef Lüder Hogrefe. Also fragte das Team bei der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger nach, bei Fremdenverkehrsbüros und Fischern. Siehe da: Mehr Daten aus dem Meer brauchen eigentlich alle, angefangen von den Forschern an der Kieler Universität über die Grenzschützer, die Schmuggler frühzeitig abfangen wollen, bis zum Surfer, der wissen will, wie hoch die Wellen vor Sylt sind. Verliert ein Schiff Öl, muss der Katastrophenschutz erfahren, wohin und wie schnell es treibt, fällt jemand über Bord, muss der Seegang bekannt sein. Forschungsschiffe dürfen bei Sturmfluten nicht auslaufen –also fehlen genaue Daten über Extremwellen der Nordsee. Das Monitoring-System soll das ändern: Per Radar werden Wellen, Strömungen und Schiffe ständig betrachtet, Bodensensoren liefern Daten über Beben, Bojen über den Seegang. Vorstellbar sind auch Landwarnsysteme – Radiowecker, über die im Notfall ein Signal gejagt wird, das die Bevölkerung aus dem Schlaf schreckt. In Schweden werden solche Geräte bereits eingesetzt.