: Stimmen festhalten
„An Literatur bin ich nicht mehr interessiert“: In der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) ist der akustische Nachlass von Rolf Dieter Brinkmann zu hören
Man war sich zu seinen Lebzeiten nicht einig über ihn und das hat sich auch postum nicht geändert. Nur noch von historischem Interesse sei das, was der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann hinterlassen habe, meint die eine Hälfte der Feuilletonisten.
Die andere Hälfte befindet, dass er eine verlorene Generation verkörpere und dass die besten seiner Texte eindringlich seien wie wenig andere in der deutschen Literatur der 60er Jahre. Einig ist man sich nur in einem Punkt: Brinkmann, der heute oft erster deutscher Popautor genannt wird, hat die Grenzen der bloß niedergeschriebenen Literatur gesprengt: Durch die Arbeit mit Fotos und Collagen und durch seine Tonband-Aufnahmen, die Mitte des Jahres unter dem Titel „Wörter Sex Schnitt“ als CD-Sammlung herausgegeben wurden.
Was wiederum die GAK nun zum Anlass für eine gleichnamige Ausstellung nahm, die neben den Tondokumenten auch die von Brinkmann gestalteten Collagen und Bucheinbände zeigt. Zu hören sind die Brinkmannschen Originalaufnahmen und die Hörspielbearbeitungen seiner Texte zwecks Einfühlung in den Zeitgeist an Sitzgruppen aus den 60er und 70er Jahren zu hören. Dabei sind die unbearbeiteten Texte in ihrer Raubeinigkeit natürlich viel interessanter als die von Hörspielredaktions-Hand arrangierten Stücke.
Da geht der 1975 verunglückte Brinkmann zum Beispiel das Gelände des Kölner Güterbahnhofs ab, „ein schmieriges verrottetes Bahngelände“ sagt er nachlässig und aggressiv zugleich, freundlich ist der Brinkmannsche Ton nicht. Dann hört man Züge im Hintergrund vorüberfahren und Brinkmann fragen: „Was ist die Poesie eines Güterzuges?“ Es ist nichts als der Kontrast zwischen dem rotzigen Tonfall und der Vorsichtigkeit der Frage, der einen aufhorchen lässt und die Rotzigkeit ist nicht Masche sondern Grundton, egal ob Brinkmann Sätze sagt wie: „Ich denke, die Zärtlichkeit macht heute Fratzen“ oder eine Frau auf der Straße nach ihren Sexualpraktiken fragt.
Das mag in den 60er und 70er Jahren noch revolutionär gewesen sein, heute, wo es das eher für die völlige Absenz von Sex gelten kann, wirkt solch eine Befragung eher mäßig interessant. Auch die Befragung seiner Frau Maleen beim Kuchenbacken – „Wie schmeckt der Teig?“ bedrängt er sie wieder und wieder– ist für denjenigen, der nicht auf Innenansichten der Brinkmannschen Ehe erpicht ist, verzichtbar.
Aber das ist noch ein zweites Feld: Der stetige Rückzug Brinkmanns aus dem Literaturbetrieb und sein zunehmender Zweifel am Wert der Literatur. „Vielleicht ist Literatur nur gut, weil sie viele Stimmen festhält“, sagt er einmal. „Und weil sie im Bewusstsein hält, dass es viele davon gibt“. Aber diese These trägt nicht lang. „Ich schreibe nur noch für mich“, sagt er ein anderes Mal. „Nein, an Literatur bin ich nicht mehr interessiert“.
Friederike Gräff
Zu sehen in der GAK bis zum 8.1. 2006.