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Archiv-Artikel

Mit Easy Jet zum Déjà-vu nach Ljubljana

Berliner Nachwuchsjournalisten haben die zehn neuen EU-Länder besucht – Resultat ist der alternative Reiseführer „Europa für Szenegänger“

Ljubljana liegt in Ostberlin. So jedenfalls kam es Renata Seremet fast vor, als sie im Hochsommer in die Hauptstadt Sloweniens reiste und dort mehrere Tage ins Kultur- und Nachtleben der Stadt eintauchte. „Die Menschen dort sind offen, warmherzig, uneitel. Das hat mich an die Zeit nach dem Mauerfall in Ostberlin erinnert“, sagt die in Westberlin aufgewachsene Tochter von Kroaten. „Ich war schon damals überrascht, dass es egal war, wie man aussah und was man anhatte.“

Zu diesem Déja-vu haben der 35-Jährigen das Goethe-Institut und der Aufbaustudiengang „Kulturjournalismus“ an der UdK verholfen. Im Rahmen eines studentischen Projekts nämlich ist Seremet zusammen mit elf Kommilitonen für anderthalb Wochen in die zehn neuen EU-Beitrittsländer geschickt worden, um sich in den Hauptstädten von Bratislava über Tallinn bis hin zum maltesischen Valetta umzusehen. Ein kleines Budget vom „Kulturjahr der Zehn“, einer Initiative der neuen EU-Länder, hatte die Kurztrips möglich gemacht.

Der UdK-Professor Manfred Eichel lieferte die Vorlage: Seine Idee war es, einen jungen Kulturreiseführer mit Szenetipps zusammenzustellen. So fingen die Studierenden an, von Berlin aus zu recherchieren, telefonisch knüpften sie die ersten Kontakte und ließen sich von den Botschaften mit Anlaufadressen versorgen. Vor Ort fragte man sich dann weiter durch, von Tipp zu Tipp, von geplanten zu ungeplanten Treffen. Zurück kamen die Nachwuchsjournalisten mit jeder Menge Impressionen, Geschichten und Interviews – die jetzt in dem Sammelband „Europa für Szenegänger“ vorliegen.

Zu jeder der zehn Städte gibt es im Buch einen doppelseitigen historischen Abriss, auf den dann Reportagen und Porträts von Protagonisten aus den Bereichen Kunst, Kneipe und Musik folgen. Ein Adressanhang komplettiert jede Stadtführung ganz serviceorientiert. Die Texte spiegeln anschaulich die oft sehr persönlichen Begegnungen mit Künstlern, DJs und Musikern wider, die sich wie überall damit herumschlagen, ihre künstlerischen Ideen in die Tat umzusetzen. Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch, dass sich eine große Aufbruchstimmung unter den jungen Leuten immer wieder mit wirtschaftlichen Problemen die Waage hält: Das Bedürfnis nach Austausch über die lokale Szene hinaus ist groß – den schnellen Flug nach Berlin, London oder Rom können sich aber nur die wenigstens Neu-EUler leisten.

Renata Seremet erlebte in Ljubljana, dass viele mit ungeheuren finanziellen Nöten zu kämpfen haben, „dabei aber platzen vor Tatendrang“. Sie beschreibt die einst trostlose kroatische Hauptstadt als eine heute offene, moderne Metropole – junge Leute wollen par force das jahrzehntelange „Gedeckeltsein“ ihrer Eltern überwinden. Hier werden, wie auch in vielen anderen Beiträgen, zwangsläufig Erinnerungen an das Nach-Wende-Berlin wach. Neben den Plattenbausiedlungen in den Außenbezirken, traf Renata auf eine sie überraschende Innenstadt: „Quirlige Jugendliche sitzen in schicken Cafés, haben Spaß und möchten aktiv ihre Zukunft gestalten.“ So überrascht waren fast alle AutorInnen – was auch ein ganz interessantes Licht wirft auf die Vorstellungen, die viele junge Deutsche immer noch von „den Neuen“ haben.

Daniel Völzke ist ins estnische Tallinn gefahren – da wollte er sowieso schon lang mal hin. In der hübsch restaurierten Puppenstuben-Altstadt, die von Wohlstand nur so strotzt, sei er auf viel Neugierde gestoßen, erzählt der 30-Jährige. Er traf ein kunstbegeistertes Bohemevolk, das sich in seinem 80er-Look kaum von den Berliner Szenegängern unterscheiden ließ. Er sprach mit dem Künstlerpärchen Sandra und Margus von der Gruppe „Avangard“ und dem Geräuschkünstler Kiwa, tingelte durch In-Kneipen und Galerien, machte aber auch vor den Vororten nicht Halt, wo die in Estland diskriminierte russischsprachige Minderheit lebt.

So hatten es Völzke und die meisten seiner MitautorInnen vor: nicht nur die angesagten Szenetreffs zu besuchen und mit touristischem Nutzwert zu beschreiben, sondern auch Zwischentöne zu hören. Bedauerlicherweise sind aber in der Druckfassung die Gespräche, die Völzke mit jungen Esten über ihr Verhältnis zur russischen Minderheit führte, dem großen Nenner „Szeneführer“ zum Opfer gefallen – ein wenig symptomatisch für den Band, der Kulturreiseführer sein will, aber die Kunst doch zu sehr vom Gesellschaftlichen trennt.

„Europa für Szenegänger“ ist dennoch eine schöne Ergänzung zu herkömmlichen Reiseführern: Der Mehrwert des Bandes liegt in den sehr persönlichen Begegnungen, die in ihm aufgeschrieben sind. Und natürlich stößt er einen auf Orte, an denen man sonst nur wieder ahnungslos vorbeigeschlendert wäre. Easy Jet dürfte sich in der nächsten Zeit über so manche Buchung freuen. KATJA WINCKLER

Manfred Eichel (Hg.): „Europa für Szenegänger. Von Riga bis Zypern: Begegnungen in Galerien, Kneipen und Clubs“. Parthas Verlag, 160 S., 18 €