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Archiv-Artikel

Krach and the City

Die DVD „Liebeslieder“ dokumentiert, wie Einstürzende Neubauten mit Stahlgeflexe zur „Kulturinstitution“ wurden

Wie schnell die Zeit verging. Schien es eben nicht noch wie vorhin, dass sich junge Männer unter einer Autobahnauffahrt zusammen fanden? Um dort den verstörendsten Lärm zu veranstalten, der der Menschheit bis dahin zu Gehör gebracht worden war? Und so fürchterlich berühmt zu werden? Dabei prangt über ein Jahrzehnt schon eine Gedenktafel an der historisch gewordenen Auffahrt: „Hier entstand 1980 die erste Platte der ‚Einstürzende Neubauten‘ “, gestiftet vom Berliner Senat.

Es sind diese Orte, die mit „Liebeslieder“ noch einmal besucht werden können. Die bereits 1993 entstandene Dokumentation von Klaus Maeck und Johanna Schenkel, die nun auf DVD veröffentlicht wird, begibt sich auf die Suche: Nach der Geschichte hinter dem Sound einer Band, die einer Generation Ausdruck verschaffte, die sich von zu vielen Sinnsuchern, Linksalternativen und Lehrertypen umgeben sah und deshalb lieber gar keinen Sinn mehr machte, sondern einfach nur für „tabula rasa“ sorgte.

In „Liebeslieder“ wird die Flex auf rostigen Stahl gesenkt, sprühen die Funken, werden Gitarren verstimmt und rückgekoppelt, wird mit Feuer gespielt, Benjamin zitiert und fröhlich immer wieder auf Metall eingeschlagen. Bargeld ernennt sich zum „Demiurg“, F. M. Einheit hat die Neubauten „immer als Theatertruppe“ gesehen, und Alexander Hacke erzählt Anekdoten aus dem alten SO 36. N. U. Unruh darf es „dubios“ finden, dass sein Stahlschlagzeug in den USA längst Liebhaberpreise erzielt, und er freut sich, dass man die für die Live-Performance benötigten Stangen nicht mehr selber auf dem Schrottplatz zusammensuchen muss, sondern mittlerweile vom örtlichen Veranstalter gestellt bekommt.

„Liebeslieder“ erzählt eine Erfolgsgeschichte – wie die Neubauten sich „als Kulturinstitution etabliert“ haben, wie Indie-Papst Alfred Hilsberg an einer Stelle anmerkt. Hier kommt der Film dem Phänomen Neubauten schon ziemlich nahe, untergräbt sein Unterfangen aber stets aufs Neue – denn an einer hintergründigen Recherche scheint Maeck und Schenkel nicht wirklich gelegen gewesen zu sein. Vielmehr ist die Struktur des Films eher schlicht: Konzert- und Archivaufnahmen werden abgelöst von sprechenden Köpfen. Im Gegensatz zu heutigen Musikdokus allerdings lässt sich „Liebeslieder“ dankenswerterweise Zeit. Niemandem wird das Wort abgeschnitten, vor allem aber werden die Songs allesamt ausgespielt. Journalistisch mag der Film also eine Enttäuschung sein, aber als Zeitdokument, als weitere Gedenktafel hat er zweifellos seine Berechtigung. THOMAS WINKLER

Einstürzende Neubauten: „Liebeslieder“ (!K7/Rough Trade)