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Archiv-Artikel

„Schäuble widerspricht sich doch selbst“

Gül Pinar, Anwältin des in Syrien inhaftierten Mohammed Zammar, hält die Informationspolitik der Bundesregierung für skandalös. Auch als BKA-Beamte Zammar in Syrien verhörten, tat die Regierung, als wisse sie von nichts

taz: Frau Pinar, Innenminister Schäuble findet es töricht, auf Erkenntnisse zu verzichten, nur weil sie eventuell mit Hilfe von Folter gewonnen wurden. Hat er Recht?

Gül Pinar: Wolfgang Schäuble widerspricht sich selbst am laufenden Band. Er redet von einer roten Linie, die nicht überquert werden darf. Er tut dies aber nur, um diese Linie dann selbst zu überschreiten. Das ist gefährlich. Wer hier versucht, die Grenzen zu verschieben, der rüttelt am allgemeinen Folterverbot.

Schäuble sagt sinngemäß, Ihr Mandant Mohammed Zammar habe die syrische Staatsbürgerschaft. Also sei es nicht verwunderlich, dass er in Syrien in Haft sei …

Das ist so nicht richtig. Syrien entlässt seine Staatsbürger nicht aus der Staatsbürgerschaft. Deshalb musste mein Mandant erklären, dass er nicht mehr Syrer sein möchte, sonst hätte er die deutsche Staatsbürgerschaft nicht erhalten. Herr Zammar ist Deutscher, und als solcher ist er entführt worden.

Haben Sie Zugang zu den Informationen, die das BKA bei der Vernehmung Ihres Mandanten in Syrien erhalten hat?

Nein. Ich weiß zwar, was ihm in Deutschland vorgeworfen wird – die mutmaßliche Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September 2001 – wie die Vorwürfe in Syrien konkret heißen, weiß ich nicht. Nicht einmal, ob irgendein Vorwurf auf justiziable Weise festgehalten ist. Mein Mandant wird ohne konkrete Anklage oder Haftbefehl festgehalten.

Ihr Mandant soll in der Haft in Syrien gefoltert worden sein. Haben Sie dafür Anhaltspunkte? Schäuble sagt, es gebe keine …

Die Aussagen von Herrn Schäuble zeugen von einer kaum überbietbaren Doppelmoral. Natürlich gibt es keinen Sonderband Folter in den Akten, in dem steht, dann und dann haben wir diese und diese Methode angewendet – und wenn er sich weiterhin weigert, wenden wir noch einmal eine andere Methode an. Dass so etwas in Folterstaaten nicht existiert, ist allgemein bekannt. Darüber hinaus: Folter und Misshandlungen würden auch nur dann aktenkundig wenn die BKA-Beamten Herrn Zammar bei ihrem Besuch gefragt hätten, wie er behandelt wird. Vernehmungsbeamte haben die Umstände aufzuklären, in denen die Aussagen zustande gekommen sind. Sie hätten danach fragen müssen, wie Herr Zammar behandelt worden ist. Dies haben sie anscheinend und wahrscheinlich bewusst unterlassen. Herr Schäuble sagt daher auch nicht, dass Beamte des BKA auf Nachfrage erfahren hätten, dass Herr Zammar nicht gefoltert worden sei.

Wie hat die Bundesregierung auf Ihre bisherigen Anfragen reagiert?

Mein Ansprechpartner war das Auswärtige Amt, das war mein direkter Ansprechpartner. Auf meine Schreiben hat es reagiert, anfangs aber nur mitgeteilt, es wüsste nicht, wo sich mein Mandant aufhält – das war Ende 2002, Anfang 2003. Zu diesem Zeitpunkt waren die Beamten des Bundeskriminalamts bereits dort gewesen. Im März 2005 habe ich dann erneut beim Auswärtigen Amt anfragt und dabei erklärt, ich wisse jetzt, dass Zammar in Syrien in der Haftanstalt Far Falastin festgehalten werde. Das Auswärtige Amt bestätigte lediglich Zammars Aufenthalt in Syrien. Es erklärte, es könne leider nichts für uns tun, weil Syrien nicht kooperativ sei. Aber selbstverständlich würden sie meinen Antrag auf Besuchsgenehmigung unterstützen.

Wussten Sie zu dieser Zeit, dass deutsche Beamte Zammar in der Haft in Syrien vernommen haben?

Hätte ich gewusst, dass Mitarbeiter des Bundeskriminalamts schon 2002 bei meinem Mandanten gewesen waren, hätte ich mich direkt an das BKA gewendet. Ich finde es ungeheuerlich, dass deutsche Beamte ihre Kenntnisse der Familie meines Mandanten vorenthalten haben. Immerhin wurde ein deutscher Staatsbürger entführt und illegal festgehalten. Es gibt überhaupt nichts, was diesem Fall als rechtliche Grundlage in Frage käme.

Werden Sie die Beamten anzeigen?

Die Entführung war rechtswidrig. Alle, die daran mittelbar oder unmittelbar beteiligt waren, haben sich mitschuldig gemacht. Die Frage ist aber gegenwärtig, welche rechtlichen Schritte sinnvoll sind. Der Familie geht es in erster Linie darum, dem Bruder, Ehemann und Sohn zu helfen und ihn nach Deutschland zurückzuholen. Wenn die Bundesregierung das unterstützt, dann ist das gut. Wenn sie sich aber nach wie vor auf den Standpunkt stellt, was sie wisse, gehe die Familie nichts an, muss man andere Schritte in Erwägung ziehen.

INTERVIEW: WOLFGANG GAST