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Archiv-Artikel

Rechtsextremen kommen vor Gericht die Tränen

Filmreife Szenen beim Prozess gegen Neonazi-Kameradschaft im Westerwald: Lügende Zeugen werden verhaftet und harte Schläger weinen

KOBLENZ taz ■ Im Gerichtssaal klicken die Handschellen. Oberstaatsanwalt Walter Schmengler lässt einen Zeugen festnehmen, dem er „Falschaussage und versuchte Strafvereitelung“ vorwirft. Grund: Der Skinhead habe mindestens zwei Kumpane decken wollen, die an einer rassistisch motivierten Attacke auf einen Farbigen und andere Personen beteiligt waren.

Der Prozess gegen die rechtsextreme „Kameradschaft Westerwald“ gestaltet sich durchaus lebhaft. Herzzerreißende Szenen spielen sich im Landgericht Koblenz ab. Die Tränen fließen zuhauf. Zum Beispiel bei Lars H. (23). Die Mutter und die Verlobte drücken das mutmaßliche Mitglied der Kameradschaft während einer Verhandlungspause an sich. Wegen der Handschellen kann der gelernte Zimmermann nicht zurück umarmen. „Holt mich doch raus aus dem Gefängnis!“, ruft Lars H. immer wieder unter Schluchzen. Er gehe in der Untersuchungshaft „kaputt“.

Lars H. kann auch weniger gefühlig sein. Im Sommer 2004 griffen er und weitere Mitglieder seiner Kameradschaft die Besucher eines Punkkonzerts in Daaden an. Sie schwangen Baseballschläger und eine nagelbewehrte Holzlatte. Die Besucher hatten damals Todesangst, heißt es in der Anklageschrift. Aber jetzt, im Gericht, weinen Lars H. und die Frauen um die Wette.

Auch der gleichfalls in Untersuchungshaft einsitzende Nikolai H. (23) wird von seiner Familie geherzt. Im vergangenen Jahr soll er an einer Tankstelle einen jungen Mann aus der linken Szene zusammengeschlagen und mit Springerstiefeln ins Gesicht getreten haben. Vater H., den die Kammer wegen Beteiligung an Gewalttaten und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe verurteilte, wirft der Staatsanwaltschaft Wildwestmethoden vor. Die Polizei behandle seine Söhne wie Schwerverbrecher, beklagt er sich. Auf Entlastungszeugen sei Druck ausgeübt worden.

Die Anwältin von Nikolai H. packte einen Beweisantrag dazu am vergangenen Montag allerdings schnell wieder ein, nachdem die Kammer den fünf Angeklagten das Angebot auf ein schnelles Urteil in Absprache mit allen Prozessbeteiligten unterbreitet hatte. Haft- und Bewährungsstrafen kündigte das Gericht an; und gestern schon sollten – falls alle Beteiligten ihr Einverständnis erklärten – die Urteile verkündet werden. Die Staatsanwaltschaft ging dennoch in die Offensive. Vater H. habe wiederholt versucht, die Belastungszeugen der Staatsanwaltschaft zur Revidierung ihrer Aussagen zu bewegen, so der Anklagevertreter. Die geladenen Zeugen bestätigten das – indirekt. H. verfolgte die Verhandlung mit hochrotem Kopf; sein Sohn mit gesenktem. Draußen auf dem Flur hatte die Familie noch gedroht, „die Bild-Zeitung zu holen“. Mit seinen Söhnen werde „den Falschen“ der Prozess gemacht, wettert Vater H. Und wer sind die Richtigen? Die „Verführer von der NPD“, sagt er dann – und „die Türken“. Die hätten doch an vielen Schulen im Westerwald „längst die Macht übernommen“, glaubt Vater H. Auch seine Söhne und deren Freunde seien „von denen geschlagen und getreten“ worden. Dabei hatten nach eigenem Bekunden weder Christoph H. noch Nikolai H. Probleme in der Schule oder mit Mitschülern.

Dass sich die NPD ab 2002 die „Kameraden“ hielt, um „jenseits der Skinheadszene“ Jugendliche aus besseren Häusern rekrutieren zu können, ist dagegen unstrittig. Mehrere Angeklagte bestätigten das. Der auch angeklagte Christoph Steub, ein NPD-Funktionär, sorgte für den Schulterschluss der „Kameraden“ mit der Partei. Und die Westerwälder Altnazis, von denen ein Hitlerverehrer und Kameradschaftsmitglied demnächst auch auf der Anklagebank sitzen wird, zogen die Fäden. Bei den Gewaltexzessen der „Kameraden“ war Nationaldemokrat Steub allerdings nicht dabei. Er organisierte lieber und verwaltete die Kasse. Bei ihm zu Hause wurden Handgranaten gefunden. Steub lagerte sie „zu Übungszwecken.“

KLAUS-PETER-KLINGELSCHMIDT