: Das Bürgertum feiert sich selbst
Weihnachten wurde immer missbraucht: Von germanisch-völkischen Gruppen und Neokonservativen. Nun erlebt es die kommerzielle „Verunreinigung“
VON RAINER KAMPLING
Am Sonntag nach dem Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens klagte Papst Benedikt XVI., die Vorweihnachtszeit erführe in der heutigen Konsumgesellschaft eine Art kommerzielle „Verunreinigung“. Tatsächlich lässt Weihnachten heute eher an einen Kindergeburtstag denken als an ein Mysterium der größten religiösen Gemeinschaft der Welt – insofern stimmt es schon: Die Sache ist verunreinigt.
Denn kaum ein christliches Fest ist so kommerzialisiert worden wie das Weihnachtsfest. Andere Feste wie Ostern, Pfingsten und Epiphanie sind von einer solchen Rezeption verschont geblieben. Als einen Grund hierfür kann man annehmen, dass sie so sehr religiös bestimmt sind, dass eine Umfunktionalisierung und Umwidmung nicht gelingen konnte. Die bisweilen verzweifelt anmutenden Versuche der, sagen wir, Duftindustrie, das Osterfest als eine Art Geschenkfest des Frühlings zu bewerben, belegen dies allzu deutlich. Das Weihnachtsfest dagegen bot offensichtlich genug Projektionsfläche, um es aus seinem religiösen Kontext zu transformieren.
Weitgehend unter der Rezeption des „Kindleins in der Krippe“ verschüttet ist dabei, dass die Weihnachtsgeschichte beim Evangelisten Lukas ein Lehrstück politischer Theologie ist und sich gegen den römischen Herrscherkult richtete: Der Herrschaft des römischen Kaisers Augustus, mit dessen Volkszählung die Geschichte mit der Krippe beginnt, wird das arme, uneheliche und obdachlose Kind irgendwo am Ende der Welt gegenübergestellt, wo nach Lesart von Lukas dennoch die eigentliche Macht erstrahlt. Bei dem Kind berühren sich durch die Engel Himmel und Erde – und die erscheinen ausgerechnet den Ärmsten der Armen, den Hirten, nicht dem Kaiser.
Kein Zufall ist, dass sich alles weihnachtliche Brauchtum, vom Weihnachtsbaum über das Ritual der Geschenke bis zur familiären Idylle, in der Zeit herausbildete, in der das Bürgertum die Familie als Kern ihrer Identität entdeckte. Vielen dieser Bräuche ist bis heute ihre biedermeierliche Trautheit eigen. Das Weihnachtsfest diente unter Zurückdrängung religiöser Elemente immer mehr der bürgerlichen Selbstdarstellung und der Stilisierung familiärer Harmonie. Daher ist die Kommerzialisierung des Festes nicht nur eine Folge seiner Profanisierung, sondern auch konsequenter Ausdruck bürgerlicher Wertvorstellungen.
An Weihnachten feiert das Bürgertum sich selbst. Es bedarf des Religiösen nicht mehr. Längst wird die Weihnachtszeit auch dort begangen, wo die religiösen Begründungen keinerlei Rolle mehr spielen. Dies zu erkennen, bedarf es nur des Besuchs eines x-beliebigen Weihnachtsmarkts: Die spärlichen Zeugnisse der Weihnachtszeit, die dort zu finden sind, orientieren sich nicht an der christlichen Symbolik, sondern an dem aus der Werbung bekannten internationalen Kitsch. Da man etwa aus Südafrika weiß, dass Santa Claus keine weiße Weihnacht braucht, könnte der Weihnachtsmarkt auch im Frühjahr oder Sommer stattfinden, böte dann aber keinen Anlass, billigen Glühwein zu trinken. Allerdings gibt es auch dort den unweigerlichen Tannebaum, der sich als einer der größten ideellen Exportschlager Deutschlands entpuppt hat.
Hier ist daran zu erinnern, dass es neben der Kommerzialisierung im 19. Jahrhundert (erneut) auch eine Politisierung des Weihnachtsfestes gegeben hat. Damals begannen die germanisch-völkischen Gruppen von Weihnachten als uraltem germanischen Fest zu raunen. Da dafür jeder Beleg fehlte, mussten sie halt erfunden und gefunden werden. Es ist bemerkenswert, wie sehr sich diese Gedanken gehalten haben, etwa in heutigen Weihnachtsfeuilletons, in denen die ihre Hütten mit grünen Zweigen schmückenden Germanen vorkommen. Dann wird zum abertausendsten Mal die wundersame Mär nacherzählt, die christliche Kirche habe das Weihnachtsfest bewusst auf das Datum der Winter-Sonnenwendfeier gelegt, um die aufsässigen Germanen zu bändigen – als wäre dem römischen Klerus des zweiten Jahrhunderts überhaupt irgendein Barbar östlich des Rheins bekannt gewesen. Wohl bewusst jedoch legte die römische Kirche die Feier der Geburt Christi auf den 25. Dezember, feierte das ganze römische Imperium doch an diesem Tag den heidnischen Sonnengott Sol Invictus mit einer Art Staatsfeiertag – auch dies ein politisch-theologisches Lehrstück.
Allerdings zeigt sich auch bei dem genannten Germanen-Weihnachten-Kitsch die Langlebigkeit nationalsozialistischer Propaganda. Da die Nazi-Banditen das Weihnachtsfest schwerlich abschaffen konnten, überzogen sie es mit ihrer Julfest-Deutung, die dem Weihnachtsbaum als urdeutsches Zeichen das Hakenkreuz aufsetzte. Wolfgang Staudtes Film „Die Mörder sind unter uns“ (1946) erinnert an diese Geschichte der deutschen Weihnacht. In einer Filmsequenz, die mit einem Gottesdienst in einer Kirchenruine beginnt, wird das Massaker an polnischen Zivilisten an Weihnachten 1942 mit Bildern der unter dem Weihnachtsbaum singenden Nazi-Offiziere kontrastiert – und mit großen Reden der Hauptverantwortliche für den vielfachen Mord unter dem Weihnachtsbaum.
Dass auch heute noch das Weihnachtsfest zur Politisierung taugt, kann man an den gegenwärtigen Polemiken in den USA ablesen. Die Neokonservativen haben sich gerade dies Fest ausgesucht, um die vermeintliche Bedrohung christlicher Werte durch Liberale heraufzubeschwören. Nun mag diese Aufregung für alle, die im amerikanischen Weihnachtstrubel wenig Christliches erkennen können, eher amüsant sein – zu unterschätzen ist sie dennoch nicht.
So hat der konservative „Fox News“-Moderator John Gibson ein Buch verfasst, das trotz seines lächerlichen Titels „The War on Christmas: How the Liberal Plot to Ban the Sacred Christian Holiday Is Worse Than You Thought“ zu einer durchaus ernsthaft betriebenen, breiten Diskussion geführt hat. Die wilde Verschwörungstheorie läuft darauf hinaus, dass man den christlichen Aspekt des Festes unterdrücke, um so die Gesellschaft auszuhöhlen. Zur Abwehr zählt man tapfer Anzeigen von Geschäften, die statt „Merry Christmas“ „Happy Holidays“ wünschen.
Gewiss könnte man darauf verweisen, dass in vielen christlichen Kirchen das Fest der Erscheinung des Herrn, also Epiphanie am 6. Januar, einen höheren Stellenwert als das Weihnachtsfest hat und dass der vermeintliche Wille der Verteidigung des Christlichen mit einer gehörigen Portion Unwissen vom Christlichen einhergeht. Aber bezeichnenderweise wird nicht die Kommerzialisierung und Verspaßung des Festes kritisiert, sondern der Verlust eines Brauchtums mit all seinen konsumistischen Implikationen, das längst an die Stelle des religiösen Festes getreten ist. Die Bibel, die von diesem Fest berichtet, nennt ein solches Verhalten Heuchelei.
Prof. Rainer Kampling, 52, lehrt Katholische Theologie an der Freien Universität Berlin