: „Es ist respektlos, uns einfach so abzuservieren“
BRASILIEN Eine Delegation des Deutschen Bundestages besucht Thyssen Krupp in Brasilien – und brüskiert Anwohner und Umweltaktivisten. Die klagen über Gesundheitsprobleme und Umweltverschmutzung durch den deutschen Stahlkocher
RIO DE JANEIRO taz | Enttäuschung und Ärger hat der Besuch deutscher Bundestagsabgeordneter bei den Bewohnern von Santa Cruz ausgelöst, dem Stadtteil von Rio de Janeiro, in dem Thyssen Krupp seit 2010 ein Stahlwerk betreibt. Die Delegation des Unterausschusses „Gesundheit in Entwicklungsländern“ besuchte am Donnerstag das wegen des Vorwurfs der Umweltverschmutzung und Missachtung der lokalen Bevölkerung umstrittene Werk des deutschen Stahlkochers. Im Anschluss luden Anwohner und Menschenrechtsorganisationen die Parlamentarier zu einem Meinungsaustausch.
„Seit Thyssen Krupp hier produziert, leiden wir unter ständiger Luftverschmutzung“, sagte die 74-jährige Marta Trindade. Am schlimmsten sei der Silberregen. „Ein feiner Staub, der sich überall niederlässt und bei vielen Menschen Hauterkrankungen hervorruft,“ so die ehemalige Krankenschwester, die seit über 30 Jahren in Santa Cruz lebt.
Da die Delegation zu spät eingetroffen war, blieb nur Zeit für kurze Statements. Gerne hätten die Anwohner mehr berichtet, es war ihnen anzumerken, dass sie viel auf dem Herzen hatten.
„Mit dem Bau des Werks wurde die Bucht von Sepetiba und einige Zuflüsse so verdreckt, dass es keine Fische mehr gibt“, klagte der Fischer Jacindo Nascimento. Er sei wie viele seiner Kollegen jetzt arbeitslos. „Es muss eine Lösung für all diese Probleme gefunden werden“, forderte Nascimento und appellierte an die deutschen Politiker, die Bewohner in ihrem Anliegen zu unterstützen.
Delegationsleiter Uwe Kekeritz (B 90/Die Grünen) antwortete, dass „diese Probleme vor Ort gelöst werden müssen“. Er räumte jedoch ein, dass die Angaben von Thyssen Krupp und der Kritiker des Stahlwerks zu den Umweltverschmutzungen im Widerspruch zueinander stünden. Unruhe kam auf, als der CDU-Abgeordnete Helmut Heiderich das Wort ergriff. Er kritisierte eine Dokumentation, die Umweltschützer an die Delegation verteilt hatten. Die Angaben zu fehlenden Konzessionen des Betriebs und nicht eingehaltenen Umweltauflagen seien falsch – da sie nicht mit der Darstellung von Thyssen Krupp übereinstimmten. Die Anwohner und Aktivisten erinnerten Heiderich daran, dass Thyssen Krupp schon mehrfach wegen Umweltverschmutzung verurteilt worden ist. Doch da waren die deutschen Abgeordneten schon wieder weg. „Aus Termingründen“ müssten sie jetzt eilig weiterfahren, das Treffen war abrupt beendet. „Es ist respektlos, uns einfach so abzuservieren“, entrüstete sich Marta Trindade gegenüber der taz. „Ich habe mich gefühlt wie eine Ausländerin in meinem eigenen Land.“ANDREAS BEHN