Kein Leben ohne Wohnung

ZWANGSRÄUMUNG Eine Rentnerin stirbt, zwei Tage nachdem sie aus ihrer Wohnung vertrieben wurde

„Lande ich auf der Straße, muss das der Staat verantworten“

ROSEMARIE F. VOR IHREM TOD

VON KONRAD LITSCHKO
UND SEBASTIAN HEISER

BERLIN taz | Als die Gerichtsvollzieherin an die Tür klopfte, hatte Rosemarie F. ihre Wohnung schon verlassen. „Das würde ich nicht durchstehen“, hatte die zierliche Rentnerin wenige Tage vor der Zwangsräumung gesagt, auf Krücken gestützt. Am Donnerstagabend, nur zwei Tage nach dem erzwungenen Auszug, starb die 67-Jährige in einer Obdachlosenunterkunft.

Rund 5.000 Zwangsräumungen gibt es pro Jahr in Berlin. In den vergangenen Wochen hatten Demonstranten wiederholt versucht, mit Blockaden Gerichtsvollzieher aufzuhalten. Mehrere Räumungen konnten nur mit großem Polizeiaufgebot durchgesetzt werden.

„Das ist nur noch unmenschlich, wie Gerichte und Eigentümer hier gegen Mieter vorgehen“, sagte David Schuster, Sprecher des Protestbündnisses „Zwangsräumung verhindern“, am Freitag. Im Internet ging man noch weiter, Gegner der Räumungen sprachen von „staatlichem Mord“.

Rosemarie F. lebte im eher ärmlichen Teil des Nordberliner Bezirks Reinickendorf. Der Vermieter hatte die Kündigung ihrer Wohnung mit Mietrückständen begründet. Die Mieten für die schwerbehinderte Frau zahlte das Amt für Grundsicherung. Diese kamen aber wegen Eigentümerwechseln verspätet an, sagen Unterstützer der Rentnerin. Zu der Gerichtsverhandlung war Rosemarie F. nicht erschienen – deshalb verlor sie automatisch den Prozess. Ihr Anwalt sagt, sie habe von dem Termin nichts gewusst, weil sie ihre Post nicht geöffnet habe. Ihr Einspruch gegen das Urteil wurde verworfen, weil er nicht innerhalb der entsprechenden Frist eingereicht wurde.

F.s Anwalt beantragte beim Amtsgericht, die Räumung bis auf weiteres nicht zu vollstrecken. Rosemarie F. legte ein Attest eines Krankenhauses vor, in dem ihr eine „psychische Belastungsreaktion“ bescheinigt wurde. Doch das reichte nicht: Räumungsschutz gebe es laut den Richtern nur, „wenn eine konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit vorliegen würde“. Dies aber wurde von keinem Arzt attestiert. Am Dienstagmorgen rückte die Gerichtsvollzieherin an, abgeschirmt von 150 Polizisten. 100 Menschen protestierten gegen die Räumung.

Nachdem Rosemarie F. in einer Wohngemeinschaft aus dem Protestumfeld unterkam, wechselte sie am Mittwoch in eine ehrenamtliche Obdachlosenunterkunft. F. sei „ziemlich fertig“ gewesen, habe sich mehrfach erbrochen, sagte Betreiber Zoltan Grasshoff. Eine Überweisung ins Krankenhaus habe sie aber abgelehnt. Am Donnerstagabend habe sie dann ein Mitbewohner regungslos auf ihrem Bett gefunden. „Sie hat dem Stress nicht standgehalten“, sagte Grasshoff.

Die Polizei bestätigte den Todesfall. Die Ursache werde derzeit noch ermittelt, sagte ein Sprecher. Hinweise auf einen Selbstmord gebe es bisher nicht.

David Schuster vom Anti-Räumungs-Bündnis ist überzeugt: „Die Räumung hat Rosemarie umgebracht.“ Die Wohnung sei für die alleinstehende Frau der einzige Rückzugsraum gewesen. Am Freitagabend rief Schusters Bündnis zu einer Trauerkundgebung vor der früheren Wohnung der Verstorbenen auf.

Rosemarie F. protestierte vor einer Woche noch selbst in Berlin, gegen eine Zwangsräumung einer Neuköllner Familie. Aufgelöst, unter Tränen wurde sie von der Polizei von der Haustür weggeschoben. Falls sie ihre Wohnung verliere, sagte sie damals, werde sie sich keine neue suchen. „Nie mehr“ wolle sie vom Sozialamt abhängig sein. „Wenn ich auf der Straße lande, hat das der Staat zu verantworten.“