: Könige der Hüfte
Kamel oder Vogel? Cuban oder New York Style? Beim Salsakurs im Grünen Salon merkt man schnell, zu welcher Gattung von Tanzfreudigen man gehört – und dass einem all das Hinterteilwackeln doch ein wenig zu heiß werden kann. Ein Selbstversuch
VON NINA APIN
Es ist stockdunkel, und ein schneidender Wind fegt über den Rosa-Luxemburg-Platz. Mit hoch gezogenen Schultern haste ich zur Volksbühne, die wie ein starrer Betonklotz in den Dezemberhimmel ragt. Weniger Karibik geht wirklich nicht. Ausgerechnet hier soll ich zusammen mit anderen hüftsteifen Teutonen das Salsatanzen lernen. Mal sehen, wie sie das mit der Lebensfreude hinkriegen, denke ich boshaft, während ich die Treppe zum Grünen Salon hinaufsteige, wo ein Schild auf den dienstagabendlichen „Salsalón“ hinweist.
Die Garderobe ist noch fast leer, mit meiner Pünktlichkeit oute ich mich als Neuling in Sachen lateinamerikanischer Lässigkeit. Im Salon verteilt sich eine Handvoll Besucher mit größtmöglichem Abstand auf die grünen Polstersessel. Auf den Tischen kündigen Chipsschälchen und bunte Flyer eine Salsaparty an. Eine große Frau mit Dauerwelle betritt den Raum und setzt sich mit einem Glas Sekt an einen Einzeltisch, zwei Mittvierziger lächeln zu ihr hinüber. Plötzlich bekomme ich es mit der Angst: Ist das hier wirklich ein Anfängerkurs oder ein exotisch verbrämter Singletreff? Eine langmähnige Latina stellt eine Kerze vor mich hin: „Für die Romantik, ja?“ Es klingt wie eine Drohung. Dabei geht es mit Salsa auch um Geschichte, um die Vermischung afrokaribischer und europäischer Tanzstile, die im New York der Siebzigerjahre in der puertorikanischen Community sehr populär wurde.
Bevor ich kneifen kann, federt der Tanzlehrer auf hohen Absätzen in die Mitte des Raumes und klatscht in die Hände. „Vamos, señoras y señores!“ Mit schlangenledergemustertem Hemd und Mikrofon-Headset strahlt Fernando Zapata einen Profi-Charme zwischen Detlef D!Soost und Club-Med-Animateur aus. Das Aufwärmprogramm besteht aus Gliedmaßen-Schütteln und Im-Kreis-Hüpfen. Erstaunt stelle ich fest, dass ich zwischen zwei Männern stehe. Hier scheint es das Problem des Frauenüberschusses nicht zu geben. Auch sind die Frauen jünger und attraktiver, als man sich salsabegeisterte Berlinerinnen vorstellt. Vielleicht liegt’s am latinokitsch-freien Ambiente, überlege ich, und spüre alte Tanzstundeninstinkte wach werden: Bloß den Blickkontakt mit dem graubärtigen Mittfünfziger vermeiden, lieber unauffällig zu dem gut aussehenden Blonden rücken.
Doch Fernando macht geschickt alle Ausleseversuche zunichte. Er führt die Paare eigenhändig zusammen und ich gerate an einen netten Dunkelhaarigen, der Klaus heißt. Un, dos, tres, die Damen nach hinten, die Herren nach vorne ausschreiten. Sofort trete ich Klaus auf den Fuß. „Nicht wie das Kamel, sondern wie der Vogel“, kommentiert Fernando mit süffisantem Lächeln. Ich spüre, wie meine Ohren rot werden. Zum Glück verordnet Fernando alle paar Minuten einen Partnerwechsel.
Als ich sieben Herren später den Dreischritt beherrsche, ohne zu stolpern, wage ich zum ersten Mal, mich umzusehen. Die meisten bewegen sich recht locker in der Hüfte und plaudern angeregt. In mir keimt der Verdacht, dass ich die einzige echte Anfängerin im Saal bin. Als Fernando an seiner ecuadorianischen Tanzpartnerin vorführt, wie sexuell aufgeladen eine einfache Damendrehung sein kann, vertieft sich meine Beunruhigung. Doch der junge Mann mir gegenüber schaut eher verlegen als feurig drein, und wir vollführen die Bewegungen mit deutscher Sachlichkeit.
Gerade als ich anfange, mich wie eine Salsaprinzessin zu fühlen, wechselt die Musik. Das, was Fernando jetzt mit seiner Partnerin vorführt, heißt Bachata und kommt aus Kolumbien. Tatsächlich sieht das absurd schnelle Hinterteilwackeln aus wie Arsch-Parkinson. Eindeutig zu caliente für mich, ich sehe lieber vom Polstersessel aus den anderen bei ihren Verrenkungen zu.
Neben mir lassen sich Klaus und seine Freundin Dagmar aufs Sofa fallen. Sie wollen eigentlich nicht ihre Gesäßmuskeln, sondern ihre Salsatechnik in Einklang bringen. Denn Dagmars Cuban Style verträgt sich nur bedingt mit dem New York Style, den Klaus in einem Tanzstudio im Prenzlauer Berg lernte. Just als mir die beiden den Unterschied zwischen den Stilen erklären, betritt ein Piratenpaar die Tanzfläche. Er trägt schwarzes Leder zum Kopftuch, sie knallrot und bauchfrei. Ohne Umschweife beginnen sie, mit den Hüften zu wackeln und sich in komplizierten Drehungen ineinander zu verflechten. Die Stunde der Fortgeschrittenen hat begonnen. „Das möchte ich eines Tages auch können“, seufzt Dagmar und beobachtet, wie die Rote am Arm ihres Piraten den Rücken durchbiegt. Ich bin mir da nicht so sicher. Kamel bleibt Kamel, denke ich und verlasse den Raum, damit die Vögel ganz unter sich sein können.
Salsalón: jeden Dienstag ab 19.30 Uhr offener Tanzkurs für Anfänger; ab 20.30 Uhr für Fortgeschrittene; ab 21.30 Uhr Party. Eintritt 5 Euro, Infos unter www.gruener-salon.de