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Archiv-Artikel

„Wir haben in Berlin keine Opposition“

taz-Serie „Vorschau 2006“ (Teil 1): Die Abgeordnetenhauswahl im September entscheidet über die Zukunft Berlins. Belohnen die Wähler den Sparkurs des rot-roten Senats? Können die Grünen an die Macht kommen? Oder die CDU? Antworten und Einschätzungen liefert der Politologe Gero Neugebauer

INTERVIEW MATTHIAS LOHRE

taz: Herr Neugebauer, selbst die Oppositionsparteien mögen seit Monaten den Senat nicht mehr hart attackieren. Rot-Rot scheint fest im Sattel. Ist die Abgeordnetenhauswahl vorzeitig entschieden?

Gero Neugebauer: Natürlich kann bis zum 17. September noch einiges geschehen. Mancher Berliner Politiker könnte bundespolitische Ambitionen verspüren. Und noch weiß niemand, was aus der Linkspartei.PDS und ihrer widerspenstigen WASG wird. Zumindest ist eines klar: Die Haushaltsberatungen im November haben offenbart, dass es keine funktionierende Opposition gibt.

Nur weil die Opposition die Sparanstrengungen des Senats nicht verdammt?

Weil der stärkste Debattenbeitrag vom Chef einer Neun-Prozent-Partei kam, nämlich Martin Lindner von der FDP.

Ein Politologe des Otto-Suhr-Instituts lobt die Berliner FDP?

Ich meine nicht die inhaltliche Qualität der Beiträge, sondern ihre politische Zielrichtung. Im Gegensatz zu Lindner haben Grüne und CDU die Haushaltsdebatte – die Sternstunde der Opposition – nicht zur Profilierung genutzt. Kurz: Wenn es bei einer Opposition darum geht, die Regierenden zu kritisieren und zu demonstrieren, dass man es besser machen könnte, dann haben wir derzeit in Berlin keine Opposition.

Das könnte taktische Gründe haben. Mancher Politiker der Grünen scheint im Schlafwagen an die Macht kommen zu wollen: Wenn es nach der Abgeordnetenhauswahl für die Fortführung von Rot-Rot nicht reicht, stünden die Grünen als dritter Partner bereit.

Dem stehen noch viele Wenn und Aber entgegen. Niemand kann vorhersagen, wie das Ergebnis am Wahlabend aussehen wird. Ob also die Grünen gebraucht werden. Für sie wäre es die erste reale Chance, überhaupt wieder in eine Landesregierung zu kommen.

Würde der Regierende Bürgermeister da überhaupt mitmachen?

Klaus Wowereit hat nie ausgeschlossen, dass er auch mit anderen Parteien regieren könnte. Die Koalition mit der Linkspartei war ja keine Liebesheirat. Gegenwärtig sieht es danach aus, als sei eine Dreierkoalition am wahrscheinlichsten – also auch Rot-Rot-Grün. Das Motto der Grünen könnte bis dahin lauten: Wir profilieren uns inhaltlich, aber nicht so weit, dass wir unerträglich erscheinen.

Trotz des schwer erträglichen Streits mit der WASG scheint die Linkspartei stabil zu sein. In Umfragen liegt sie konstant bei mehr als 15 Prozent, ihre inhaltliche Arbeit findet Lob, und das selbst bei der Opposition. Alles gut bei den Sozialisten?

Damit alles gut bleibt, muss der Streit ein Ende finden. Da könnte sich der WASG-Bundesvorstand eine Maßnahme gegen seinen Berliner Landesverband überlegen. Zum Beispiel kann er den gewählten Landesvorstand für abgesetzt erklären, weil dieser die auf Bundesebene beschlossene Fusion der beiden Parteien torpediert. Der politische Flurschaden wäre weniger groß. Man vergraulte lediglich die derzeit im WASG-Vorstand herrschenden Leute der Sozialistischen Alternative und des Linksrucks.

Die Alternative ist: Die Bundesspitze löst den ganzen Landesverband auf.

Das würde länger dauern und größere Turbulenzen bewirken. Die Fusionswilligen müssten eine Verhandlungsstruktur schaffen. Dann stünde die Berliner Ex-WASG-Führung vor dem Problem, ohne zugkräftigen Namen eigenständig Wahlkampf führen zu müssen – und über die Fünfprozenthürde zu kommen. Scheitert sie, droht ihr der Sturz zurück in die Versenkung.

Eine Einigung zwischen Linkspartei und WASG ist demnach nicht mehr drin?

Egal ob der Linke-Chef Stefan Liebich oder seit kurzem Klaus Lederer heißt: Die Bereitschaft, auf die WASG-Forderungen einzugehen, geht bei ihnen im Moment gegen null, aber sie warten auf Anweisungen von oben.

Kann sich die Berliner Linkspartei das leisten? Die gemeinsame Bundesspitze warnt immerhin, ein konkurrierender WASG-Wahlantritt gefährde die Bundestagsfraktion.

Unsinn. Es handelt sich um eine Linke-Bundestagsfraktion. Die WASGlerInnen sind zwar faktisch als Repräsentanten der Linkspartei ins Parlament gewählt worden. Aber die Entscheidungen, wer auf die Wahllisten kommt, haben zuvor die Führungen von Linkspartei und WASG getroffen. Die Berliner WASG kann den Bestand der Bundestagsfraktion gar nicht gefährden – falls sie es wollte.

Muss die Linkspartei dann gar keine Angst vor der WASG haben?

Immerhin könnte die Wahlalternative nicht wenige Wählerstimmen von der Linken weglocken.

Auf ganz andere Art zerstritten ist die CDU. Bei der Bundestagswahl hat sie in Berlin das schlechteste Wahlergebnis seit Jahrzehnten eingefahren. Ihr Lieblingskandidat für die Abgeordnetenhauswahl, Klaus Töpfer, will sich erst im März entscheiden. Spielt die Union keine Rolle mehr bei der anstehenden Wahl?

Ich sage es mal so: Politikwissenschaftler beurteilen Erfolgsaussichten einer Partei nach folgenden Punkten. Sorgt die Parteiführung dafür, dass die Partei möglichst geschlossen auftritt? Passt sich die Partei optimal ihrer Umwelt, das heißt ihrer Wählerschaft, an? Reagiert die Partei angemessen auf gesellschaftliche Entwicklungen? Für die hiesige CDU lauten die Antworten mehr oder weniger: Nein, nein und nein. Unionspolitiker mit parteiübergreifender Reputation treten bei der kommenden Wahl nicht mehr an …

beispielsweise Exfinanzsenator Peter Kurth und Exkultursenator Christoph Stölzl.

Die Union hofft, von einem beliebten Spitzenkandidaten namens Klaus Töpfer zu profitieren. Hinter dessen breiten Schultern möchte sie gern ihre Defizite verstecken. Doch das wird nicht reichen, um viele Wählerstimmen hinzuzugewinnen. Die CDU muss auf Rückenwind aus dem Bund hoffen.

Wird die Abgeordnetenhauswahl letztlich von der Entwicklung im Bund entschieden?

Nicht ganz, aber 2001 ist jede vierte Stimme bundespolitisch orientiert abgegeben worden.

Heißt das, die viel beschworene Personalisierung des Wahlkampfs ist Unsinn?

Unsinn nicht, aber nicht ausschlaggebend. Auch auf Landesebene fragen sich immer mehr Wähler: Welche Partei kann die Probleme lösen, die diese Stadt plagen? Nicht, welcher Politiker.

Bis zur Wahl stehen der Stadt drei wichtige Ereignisse bevor: Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über den Bau des Großflughafens in Schönefeld.

Falls der Großflughafen baden geht, kann die CDU dagegen nicht polemisieren. Die entscheidenden Planungsfehler hat der unionsgeführte Diepgen-Senat in den Neunzigerjahren gemacht. Daraus kann die CDU keinen Honig saugen.

Zweiter Punkt: Im Sommer ist Fußball-WM.

Anlässlich der Weltmeisterschaft 2002 gab es Untersuchungen, ob es einen Zusammenhang zwischen einem guten Abschneiden der deutschen Mannschaft und dem Bundestagswahlergebnis gibt. Das Resultat: Es gibt keinen relevanten Zusammenhang.

Und drittens: In Karlsruhe urteilen die Bundesverfassungsrichter, ob Berlin milliardenschwere Entschuldungshilfen vom Bund bekommt.

Das interessiert im Moment die NormalbürgerInnen trotz reduzierter öffentlicher Leistungen vermutlich so wenig, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Interessanter sind die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen für Berlin, falls Berlins Klage Erfolg hat. Mit Geldzusagen im Rücken könnte der Senat Investitionen und größere Versprechungen machen – und muss nicht mehr nur vom Sparen reden.

Klaus Wowereit hat eifrig das rot-rote Modell auch für den Bund empfohlen. Was glauben Sie: Will der Regierende noch Karriere im Bund machen?

Wowereit muss die SPD-Linkspartei-Koalition schon allein deshalb loben, weil er derzeit keinen Anlass hat, etwas an der Regierungszusammensetzung zu ändern. Er hat eine stabile Mehrheit im Parlament. Klar ist aber auch: Wowereit hat das Format für eine Karriere im Bund. Er hat es, auch wenn derzeit alles für Matthias Platzeck als SPD-Spitzenkandidaten spricht. Jeder Landespolitiker, der etwas leistet, will auf die Bundesebene aufsteigen. Regierungschefs mit landesväterlichen Attitüden sind meist relativ alt und wissen, dass sie nicht weiter aufsteigen werden. Oder sie bekommen es wie Stoiber 2002 von den WählerInnen gesagt. Und landesväterliche Attitüden hat Wowereit nun wirklich nicht.