: Bewährungsprobe folgt
ERÖFFNUNG Das neue Opernhaus wird in Linz mit großem Spektakel, einer neuen Oper von Philip Glass und einem Musical eingeweiht
VON JOACHIM LANGE
Ein nagelneues Opernhaus! Wo gibt’s das heutzutage in Europa schon noch? Längst ist jedes Haus, das sich hält, schon eine Leistung. Selbst in Österreich reichen ja die Kunst-Hochburgen Wien und Salzburg für das eigene Selbstverständnis als Kultur-Großmacht aus.
Dass der Opernfreund beim imaginären Pendeln zwischen Wien und Salzburg in Linz bislang immer durchgefahren ist, soll sich jetzt ändern. Diese Vision von der Stadt der Industrie, die auch zu einer Stadt der Kultur werden soll, beschwören jedenfalls die in der Eröffnungseuphorie des neugebauten Opernhauses schwelgenden Politiker fast aller Couleur.
Die sagten dann auch solch schöne Sätze: „Kultur kostet, aber Unkultur kostet noch viel mehr.“ Nur die hier so genannten Blauen, die rechten Populisten, fehlten. Im Jahr 2000 hatte die Freiheitliche Partei Österreichs nämlich versucht, die kulturelle Großinvestition per Volksentscheid zu kippen. Ein großer Teil von den 60 Prozent, die damals gegen den Bau stimmten, ist heuer vielleicht froh, dass es trotzdem gebaut wurde.
Das Haus am Volksgarten wurde sogar im vorgegebenen Kostenlimit von circa 180 Millionen Euro fertig. Auch der Streit um die vom britischen Architekten Terry Pawsen vorgesehene rostbraune Fassade wurde mit einem Kompromiss beigelegt. Die Architekten verkleideten die Seiten mit einer hellen Steinfassade. Was wieder so dramatisch nicht ist, weil der äußere Charme des Baus ohnehin nicht über eine Melange aus Park- und Kulturhaus hinauskommt. Die Eingangsfassade machen den anschließenden Volks- zu einem großen Vorgarten des neuen Kulturtempels.
Innen hat man auf ein Wohlfühlambiente mit viel Holz gesetzt. Die technische Ausstattung dieses Niedrigenergiebaus aber ist imponierend: Unter anderem mit einer Drehbühne, die mit 32 Metern Durchmesser zu den größten ihrer Art gehört. Großzügig sind die um die Bühne gelagerten Werkstätten, Kulissenlager und Nebenbühnen, vorzüglich der Backstage-Bereich. In den Graben passen fast 100 Musiker, der Große Saal bietet eine gute Sicht von allen der fast 1.200 Plätze (mit den kleineren Sälen kommt man auf 1.700). Da liegt auch das Problem, denn die muss Intendant Rainer Mennicken in der 200.000-Einwohner-Stadt erst mal füllen. Wenn die erste Neugier befriedigt ist, dann zählt bald nicht mehr das Haus, sondern das, was dort an Kunst geboten wird. Da wird die Hardware schnell zum Normalzustand und die Software entscheidet.
Zur Eröffnung gab es nach einem erstaunlich unterhaltsamen Festakt auch gleich noch eine Referenz ans Wagnerjahr. In den vielen Reden machte man einen auffälligen Bogen um die Pläne des Wagnerfans Hitler, der Linz zur Kulturhauptstadt seines Dritten Reiches machen wollte. Auch das, was dann die katalanischen Spektakelfreunde „La Fura dels Baus“ unter dem Titel „Ein Parzifal“ in der kühlen Aprilnacht vor der Fassade vorturnten und auf dem Dach darboten, war meilenweit von einer kritisch-historischen Reminiszenz entfernt. Allerdings auch von Richard Wagner und von einer ernsthaften Kunstanstrengung.
Auf die Fassadenshow folgte tags drauf die Uraufführung von Philip Glass’ neuer Oper „Spuren der Verirrten“. Der Hausherr selbst hat ihm dafür das Libretto aus dem gleichnamigen Peter Handke Stück (2006) destilliert. Die österreichische Edelfeder und der amerikanische Fließbandkomponist von Minimal-Musik – echtes Risiko sieht anders aus. Auch, dass einer wie David Pountney vor seiner letzten Saison als Chef der Bregenzer Festspiele Regie führt, ließ eher das Ausschreiten der Möglichkeiten des Hauses erwarten, als eine verstörende Befragung. Glass lieferte eine handwerklich gut gemachte, nach dem raunenden Einstieg allerdings ziemlich vorhersehbar, eingängig repetierende Musik, bei der die gelegentlichen Crescendi noch das Aufregendste sind. Die vom an- und abschwellenden, immer einschmeichelnden Orchester produzierten Klangwolken belegen aber die exzellente Saalakustik.
Bis zur Pause freilich verärgert die ausgestellte Dürftigkeit der Collage von Minidramen und die Kulissenschieberei mit Secondhand-Witzchen (mit Dirndl und Alphörnern, Schaf, Kuh und Hase). Mit dem zweiten Teil nehmen zumindest Text und Inszenierung Fahrt auf. Aus den Kulissen des ersten Teils ist nun eine postkatastrophische Landschaft geworden. Wenn sich hier Ödipus verirrt, dann wird dieses freischwebende Irgendwo sogar interessant. Bühnenpersonal und Orchester tauschen den Platz – ein schöner Effekt.
Der Chef des Brucknerorchesters, Dennis Russell Davies, hat jedenfalls musikalisch rausgeholt, was rauszuholen ist. Mit der österreichischen Erstaufführung des Musicals „Die Hexen von Eastwick“ dann zeigt die neue Sparte des Linzer Landestheaters Flagge. Kein Geniestreich, aber gut gemacht. Schließlich sollen Musicals helfen, das Riesenhaus zu füllen! Und das wird die eigentliche Bewährungsprobe für das neueste Opernhaus Europas.