Keinerlei Hoffnung im Lager Guantánamo

USA Seit zwei Monaten findet in dem Internierungscamp auf Kuba ein Hungerstreik statt. Am Wochenende kam es zu Protesten

Offener Brief von Menschenrechtlern und Mahnwachen in 26 Städten der USA

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

Als „schwach, dürr und krank“ beschreibt Pardiss Kebriaei die jungen Männer, die sie in der ersten Aprilwoche in Guantánamo getroffen hat. „Meine Mandanten wollen leben“ sagt die New Yorker Anwältin zur taz, „aber sie haben das Gefühl, dass ihnen keine andere Möglichkeit als der Hungerstreik bleibt, um gehört zu werden.“

Am Anfang des dritten Monats der Protestaktion werden mindestens 11 Gefangene zwangsernährt. Zahlreiche weitere sind extrem geschwächt. Die Anwältin vom Center of Constitutional Rights ist seit 2007 Dutzende Male in dem Internierungslager gewesen. Die Anspannung, die dort jetzt herrscht, beschreibt sie als „größer als seit Jahren“. Nach ihrem Besuch befürchtet sie, dass „bald“ jemand sterben könnte.

Am Samstag eskalierte die Situation, als US-Wärter Gummigeschosse gegen Häftlinge einsetzten, die sich gegen die Verlegung aus einer Gruppenunterkunft in Einzelzellen wehrten. Es habe aber nur leichte Verletzungen gegeben, zitierte CNN einen Militärsprecher.

„Wenn es je einen Moment gegeben hat, Ihr Versprechen umzusetzen und das Gefängnis von Guantánamo zu schließen, dann jetzt“, schrieben 25 US-Menschenrechtsorganisationen am Donnerstag in einem offenen Brief an Barack Obama. Auch Amnesty, Human Rights Watch und Witness against Torture haben unterzeichnet.

Sie fordern den US-Präsidenten auf, die Gefangenen entweder in ihre Heimat- oder andere Länder zu transferieren oder sie vor ein Gericht zu stellen. Und sie bitten darum, jemanden zu benennen, der sich vom Weißen Haus aus um die Schließung des Lagers kümmert. Daniel Fried, der in den vergangenen Jahren damit befasst war, ist im Januar versetzt worden. Seine Stelle ist seither verwaist.

Am Tag, an dem der offene Brief erscheint, finden in 26 Städten der USA Mahnwachen statt. „Die Gefangenen sind keine Engel“, sagt Friedens-Dichter Luke Nephew auf dem Times Square in New York, „unter den Kapuzen stecken Menschen“. In Washington gibt der Chef des politisch zurückhaltenden Internationalen Roten Kreuzes eine Pressekonferenz. Darin kritisiert Peter Maurer die Methoden der Zwangsernährung und fordert Obama auf, „mehr zu tun, um die unhaltbare Situation zu beenden“.

Der Zugang nach Guantánamo wird vom Pentagon kontrolliert. Letzte Woche stellte sich heraus, dass das Pentagon Zehntausende E-Mails von Gefangenen und ihren Anwälten direkt an die militärische Staatsanwaltschaft weitergeleitet hat.

Auch bei dem Hungerstreik sorgt das Pentagon mit Informationskontrolle für Verwirrung. Anwälte können seit Anfang Februar die Gewichtsverluste ihrer Mandanten beobachten und berichten darüber. Doch das US-Verteidigungsministerium hat bis Ende März bestritten, dass es überhaupt massive Proteste gibt. Erst seither korrigiert es seine Zahlen leicht nach oben und gibt inzwischen zu, dass 43 Gefangene hungerstreiken. Doch die Anwälte sprechen von mehr als 100 Hungerstreikenden.

Auslöser für den Hungerstreik waren Durchsuchungen von Koran-Büchern in Guantánamo. Doch Anwälte und Menschenrechtsgruppen sehen den tieferliegenden Grund in der schier aussichtslose Lage der Gefangenen. Die überwiegende Mehrheit der 166 Häftlingen ist seit mehr als elf Jahren interniert. Seither sind sie weder angeklagt worden noch haben sie einen Prozess oder eine Verurteilung bekommen. Kein Gefangener weiß, wann er – wenn überhaupt – das Lager verlassen kann. Anwältin Pardiss Kebriaei macht diese „Gefangenschaft auf unbegrenzte Zeit“ verantwortlich. Sie zitiert einen Mandanten, der ihr gesagt hat: „Das Schweigen der Regierung tötet uns.“

Nur gegen 34 Gefangene will die US-Regierung überhaupt Anklage erheben. Für 86 andere Gefangene hingegen haben die US-Behörden längst entschieden, dass sie in ihre Heimatländer transferiert werden können. Doch der Kongress lässt nur Abschiebung in „sichere Länder“ zu. Jemen, aus dem die Mehrheit der Guantánamo-Insassen stammt, gehört nicht dazu.

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