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Archiv-Artikel

Eine Fleißarbeit

Jürgen Zieher hat das Verhältnis von NRW-Städten zu ihren jüdischen Gemeinden nach dem Krieg untersucht

Jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen erblüht wieder. 19 Gemeinden mit rund 30.000 Mitgliedern gibt es derzeit. Mehr als die Hälfte kam erst in den vergangenen zehn Jahren dazu, meist aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion. Dass nach dem Holocaust überhaupt wieder jüdische Gemeinden in Deutschland entstanden sind, ist bemerkenswert. Ihre ersten Mitglieder hatten oft jahrelange Haft in Konzentrationslagern hinter sich und mussten erleben, wie Familienangehörige in den Gaskammern der Nazis umgebracht wurden. „Die Geschichte des deutschen Judentums ist definitiv zu Ende“, befand Leo Baeck 1945. Doch da hatte sich der Rabbiner getäuscht.

Noch vor Kriegsende wurden in schon befreiten Städten wie Köln die ersten Synagogengemeinden gegründet. Bald kamen erste Betsäle dazu, schließlich wurden auch zerstörte Synagogen wieder aufgebaut. Warum Juden nach 1945 trotzdem in Deutschland blieben und mit welchen Schwierigkeiten sie dabei zu kämpfen hatten, hat der Politikwissenschaftler und Historiker Jürgen Zieher in seinem Buch „Im Schatten von Antisemitismus und Wiedergutmachung“ untersucht – mit dem Schwerpunkt auf den Beziehungen zwischen drei Kommunen und deren jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen vom Kriegsende bis zum Jahr 1960: Es sind Dortmund, Düsseldorf und Köln, laut Zieher „seit Kriegsende die mit Abstand bedeutensten und mitgliederstärksten“ jüdischen Gemeinden in NRW.

Das Buch – eine gekürzte und überarbeitete Fassung der Doktorarbeit Ziehers – ist eine Fleißarbeit: Der Autor hat Zeitzeugen befragt, die Archive von Synagogengemeinden durchforstet, Ratsprotokolle studiert und Lokalzeitungen gesichtet. Für die Kommunen ist das Ergebnis der Untersuchung wenig schmeichelhaft. „Die Positionierung der drei Kommunen zu den jüdischen Gemeinden folgte weitgehend einer von alliierter Seite vorgegebenen und von übergeordneten deutschen Stellen übernommenen politischen Rahmensetzung“, schreibt Zieher. Aus den Stadtverwaltungen, in denen nicht selten ehemalige NSDAP-Mitglieder saßen, kamen selten Impulse zur Wiedergutmachung. Kommunalpolitiker beschränkten sich meist darauf, gelegentlich an Gedenkveranstaltungen teilzunehmen und antisemitische Vorfälle zu verurteilen – mit Ausnahme von Düsseldorfs Oberbürgermeister Karl Arnold: 1946 ließ er eine Gedenktafel für ermordete Juden in der Stadt anbringen.

Doch meist warteten die Juden vergeblich darauf, dass die Deutschen von sich aus Wiedergutmachung leisten würden, sei es materiell oder moralisch. „Um eine Annäherung an Juden bemühten sich bis Ende der Fünfzigerjahre nur wenige Deutsche, die überwiegende Mehrheit vermied hingegen persönliche Kontakte“, schreibt Zieher. Antisemitische Vorfälle wie Friedhofsschändungen, von deutschen Behörden oft als Jugendstreiche bagatellisiert, taten ein Übriges, dass Juden noch Jahre sprichwörtlich „auf gepackten Koffern“ saßen. Nach dem Krieg hatten deutsche Politiker wiederholt von der „Ehrenpflicht“ gesprochen, begangenes Unrecht wiedergutzumachen. „Juden blieben nicht in Deutschland“, fasst Zieher zusammen, „weil die Politiker ihre selbst bekundete ‚Ehrenpflicht‘ erfüllten, sondern obwohl sie es nicht taten.“

DIRK ECKERT

Jürgen Zieher: „Im Schatten von Antisemitismus und Wiedergutmachung. Kommunen und jüdische Gemeinden in Dortmund, Düsseldorf und Köln 1945-1960“, Metropol Verlag, Berlin 2005