: Islamische Mission per Mausklick
Im arabischsprachigen Internet spielt die Religion eine große Rolle. Nicht Websites von Terroristen, sondern Portale, die zu einer frommen Lebensweise ermuntern, bestimmen das Bild. Dabei geht es auch um die weltweite Verbreitung des Islam
VON FLORIAN HARMS
Nahezu täglich ziehen die Websites militanter Islamisten, so genannte Terrorsites, die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit auf sich. Doch diese machen nur einen Teil der großen islamischen Onlinepräsenz aus. Die überwältigende Mehrheit der Muslime klickt aber ohnehin keine Terrorsites an, wenn sie nach religiösen Inhalten im Netz sucht.
Das islamische Angebot im Internet ist mittlerweile ebenso vielfältig wie unüberschaubar geworden. Das Thema Religion im arabischsprachigen World Wide Web nimmt einen viel höheren Stellenwert ein als unter westlichen Internetnutzern. Die Webstatistik des Unternehmens Alexa (www.alexa.com) listet unter den 140 populärsten arabischen Websites 15 religiöse Portale auf. Dezidiert islamische Websites machen rund zehn Prozent der meistbesuchten arabischen Sites aus – ein solches Phänomen gibt es in keiner anderen Sprache im virtuellen Raum.
Kurz hinter den Portalen von Microsoft Arabia, des Fernsehsenders al-Dschasira und der ägyptischen Zeitung al-Ahram folgen demnach in der Rangliste Websites wie Islam Online (www.islamonline.com), Islam Web (www.islamweb.net) und Raddadi (www.raddadi.com), die eine Mischung aus Nachrichten, religiöser Lebensberatung und Diskussionsforen für Muslime anbieten und sich für eine friedliche Durchsetzung islamischer Prinzipien im privaten und öffentlichen Leben einsetzen.
Etwas weiter hinten finden sich die Website des unter Jugendlichen in der ganzen arabischen Welt beliebten ägyptischen Fernsehpredigers Amr Chalid (www.amrkhaled.net) und die islamischen Frauenportale Lakii (www.lakii.com) und Laha (www.lahaonline.com). Generell fällt die starke Präsenz von Websites auf, die den Salafismus oder den Wahhabismus, die saudisch-konservative Variante des Islam, propagieren.
Dazu gehört auch eine der beliebtesten arabischen Websites namens Sayd al-Fawaid, was so viel wie „Streben nach religiös dienlichem Nutzen“ bedeutet (www.saaid.net). Dieser Ableger der von saudi-arabischen Staatsorganen initiierten Site al-Chayma al-Arabiya („Das arabische Zelt“, www.khayma.com) wird von einer saudischen Kleingruppe betreut, die relativ große inhaltliche Autonomie genießt. Sie stellt eine Fülle an Informationen zum Leben und Handeln des Propheten Mohammed und Religionsgutachten wahhabitischer, zum Teil auch extremistischer Gelehrter zur Verfügung. Vor allem aber dient sie als Forum für professionelle und Laienmissionare, die hier ihre Ideen verbreiten und konkrete Ratschläge für die Mission im erweiterten persönlichen Umfeld, in Moscheen, Schulen und besonders im Internet erteilen: Glaubenskampf per Mausklick.
Detailliert erklären die Aktivisten, wie man in Mailgroups oder Chatrooms Angehörige anderer Religionen bekehrt sowie vom „rechten Weg“ abgekommene Muslime in den Schoß des wahhabitischen Islam zurückholt. Beispielhafte Dialoge, auf verschiedene Zielgruppen zugeschnittene Argumentationen und Tipps zur Recherche von E-Mail-Adressen komplettieren die Handlungsanweisungen.
Dass die so initiierte Mission nicht ungehört im virtuellen Raum verhallt, dokumentieren die Reaktionen: In den Gästebüchern von Sayd al-Fawaid oder al-Sunna (www.al-sunnah.com) finden sich Hunderte von Besuchereinträgen aus aller Welt. Selbst wenn man einen gewissen Prozentsatz als fingiert abzieht, bleiben zahlreiche glaubwürdige Mitteilungen, die Wirkung und Reichweite der islamischen Websites bezeugen. „Ich besuche eure Site seit Monaten regelmäßig, sie hat mir geholfen, zum Islam zu konvertieren“, schreibt eine Besucherin namens Amina. „Ich besuche eure Site mindestens einmal am Tag und überlege, zum Islam überzutreten“, notiert Erica aus den USA.
Wie weit sich die Onlinemissionare von herkömmlichen islamischen Verbreitungspraktiken entfernt haben, verdeutlicht der Fall eines saudischen Propagandisten, der sich eine spezielle Strategie für die Mission unter Männern ausgedacht hat: Seinen Lesern empfiehlt er, eine Website mit einer verfänglichen Adresse wie etwa „Arabic Sex for You“ zu gestalten und darauf ein Fenster einzubauen, das die Besucher anklicken müssen, bevor sie zu den Inhalten gelangen. Dadurch werden sie auf eine religiöse Site umgeleitet, die sie über ihr Laster aufklärt, vor der Strafe am Tag des Jüngsten Gerichts warnt und zu einem besseren Lebenswandel aufruft. Die technische Gebrauchsanweisung für diese virtuelle Standpauke liefert der Autor gleich mit.
Ähnlich konkrete Anleitungen bietet das ebenfalls saudi-arabische Portal Schabakat al-Dawa al-Islamiya („Das islamische Missionsnetz“, www.aldawah.net). Hier können die Besucher ganze digitalisierte Bücher mit missionarischen Inhalten und Ratschläge für Bekehrungen am Arbeitsplatz, in der Schule und der Universität abrufen oder sich die Lebensläufe berühmter Missionare zum Vorbild nehmen. Darunter sind auch Islamisten wie der Gründer der Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna. Aufschlussreich ist eine Untersektion, die sich der Gestaltung religiöser Freizeitaktivitäten widmet. Die Besucher erfahren hier unter anderem, wie sie Zeltlager für die Ausbildung von Missionaren organisieren können. Fertig ausgearbeitete Programme, Blaupausen für Anmeldeformulare und Kontakte zu saudischen Missionsorganisationen wie der World Assembly of Muslim Youth, die bei der Finanzierung helfen, werden gleich mitgeliefert. Der virtuelle Islam ist dynamischer als je zuvor.