Eiszeit zwischen den Schwestern

THEATER Andrea Breth inszeniert am Schauspiel Frankfurt das Drama der narzisstisch gestörten Persönlichkeit, Ibsens„ John Gabriel Borkmann“, als Fest der Eisheiligen

Ein einsamer Wolf mit Allmachtsfantasien, dessen kleine Seele keinerlei Selbstzweifel ankränkeln

VON SHIRIN SOJITRAWALLA

Der stumme letzte Akt gleicht einem Hieb in die Magengrube. Wo sonst die zugegebenermaßen etwas verstolperte Versöhnung der beiden unversöhnlichen Schwestern lauert, lässt die Regisseurin Andrea Breth sie wortlos im ewigen Eis vergletschern. Ergreifend düster endet diese Premiere im Schauspiel Frankfurt.

In seinem 1896 in London uraufgeführten Alterswerk „John Gabriel Borkman“ erzählt Henrik Ibsen die Geschichte einer Familie, die derart miteinander verstrickt ist, dass sie den eigenen Fängen kaum entkommt. John Gabriel Borkman verzichtete einst allein der Karriere wegen auf die Liebe von Ella Rentheim und heiratete stattdessen ihre Schwester Gunhild. Mit ihr hat er einen Sohn, Erhart. Der wächst zeitweise bei seiner ledig und kinderlos gebliebenen Tante Ella auf, während der frühere Bankdirektor Borkman viele Jahre im Gefängnis zubringt, da er des Betrugs an dem Vermögen seiner Kunden überführt wurde.

Zu Beginn des Stücks lebt Gunhild schon acht Jahre auf dem Anwesen ihrer Schwester Ella. Dort führt auch Borkman seine Dachbodenexistenz, trampelt seiner untröstlichen Frau buchstäblich und unentwegt auf dem Kopf herum. Annette Murschetz stellt ihnen im Frankfurter Schauspielhaus einen elegant klassizistischen Salon mit hohen grauen Wänden auf die Bühne. In dieser abgewohnten Kathedrale des Bürgerlichen wirken Ibsens Menschen kümmerlich klein und verloren. Zu Beginn sitzen sich dort die beiden Schwestern auf grünen Sitzmöbeln gegenüber. Sehr weit voneinander entfernt: links auf dem Sofa döst Corinna Kirchhoff als stetig frierende Gunhild in eine Wolldecke gehüllt. Nach Art einer Stummfilmdiva fährt sie immer mal wieder affektiert auf und hält sich dabei in ihrem unbändigen Stolz sehr gerade.

Rechts auf einem Sessel macht es sich derweil Josefin Platt als Ella leidlich bequem. Sie ist zurückgekehrt, um zu bleiben. Todkrank kämpft sie um das, was sein wird, wenn sie nicht mehr ist. Dabei stehen sich die beiden Schwestern in ihrem eisigen Egoismus in nichts nach. Doch während Gunhild sich im Laufe des Abends immer weiter in ihre fürchterliche Mutterliebe steigert und die Kirchhoff dabei mit schnarrender Verbitterung in der Stimme gleichzeitig zum Angriff bereit wie um Deckung bemüht nervös herumtänzelt, hört und sieht man gegen Ende von Ella nicht mehr viel: Wie ein zum Sterben bereites Tier verfolgt sie die Abmühungen der anderen.

Im zweiten Akt blicken wir dann in Borkmans Domizil in der oberen Etage. Dort herrscht dasselbe Grau in Grau, dieselbe Bunkermentalität wie unten und Unordnung dazu. Zwischen Büchern und Papieren verschanzt er sich. Ein einsamer Wolf mit Allmachtsfantasien, dessen kleine Seele keinerlei Selbstzweifel ankränkeln. In seinem unbeugsamen Stolz bildet er mit seiner Ehefrau ein ideales Paar. Wolfgang Michael verdeutlicht ihn als coolen Hund, der sich um andere nur schert, wenn sie ihm behilflich sind auf seinem Weg nach oben. Viel mehr als die anderen und alles andere beschäftigen ihn ohnehin imaginäre Flecken auf seinen Schuhspitzen. Immer wieder beugt er sich zu sich selbst hinunter, um sie wegzuwischen.

Ein Spleen, ein Tick, eine Allerweltsneurose, die von der totalen Zuwendung zu sich selbst kündet. Wie die beiden Frauen möchte auch Borkman seinen Sohn Erhart für seine eigenen Zwecke missbrauchen. Dieser Erhart ist bei Christian Erdt ein stürmend drängender Jungspund, der im Windschatten der überdrehten Fanny Wilton dem grauen Gemäuer entflieht wie einer Erbkrankheit. Als er das Haus verlässt, wehklagt sich Kirchhoffs überspannt vibrierende Gunhild in hysterische Koloraturen, die abwechselnd zum Schämen wie zum Herzerweichen tönen: Man möchte über diese Frau lachen und mit ihr heulen, sie wegschubsen und umarmen. Für einen irren Augenblick wirken die drei einsamen Gestalten auf der großen Bühne dann wie im Wahnsinn vereinte Bewohner einer geschlossenen Anstalt. Doch bei aller Beklemmung, die diese Inszenierung anfacht, lässt sie doch genügend Raum für das Komische. Das entlarvt die Figuren herrlich, verrät sie aber nicht. Für ein Happy End scheinen sie Andrea Breth ohnehin zu schade. Und so zucken und ruckeln sie bei ihr ohne Aussicht auf Frühling ihrem eisigen Ende entgegen. Ein Gespensterballett. Prognose: Es kommen kältere Tage.