: Medienkunstkartierung
MEDIENKUNST Mit mehr als 180 Kurz- und Langfilmen, Dokumentationen, Installationen, Performances und Vorträgen kreist die 26. Ausgabe des European Media Art Festivals in Osnabrück nächste Woche um die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs „Mapping“
VON ROBERT MATTHIES
Wie sehen wir die Welt und wie nehmen wir Unterschiede in ihr wahr? Welche Rolle spielen dabei kritische wissenschaftliche und künstlerische Verfahren und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Das sind die zentralen Fragen der experimentellen Dokumentation „Mapping Perception“, die der britische Künstler und Filmemacher Andrew Kötting im letzten Jahr auf dem European Media Art Festival (EMAF) in Osnabrück gezeigt hat.
Ausgehend von der angeborenen Entwicklungs- und Funktionsbesonderheit seiner Tochter Eden, die eine Unterentwicklung des Vermis cerebelli, der Struktur zwischen den beiden Kleinhirnhemisphären, zur Folge hat, hat Kötting gemeinsam mit dem Kurator Giles Lane und dem Neurophysiologen Mark Lythgoe und unter Mitwirkung seiner Tochter als Performerin vier Jahre lang die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung ausgelotet.
Die beeinträchtigten Gehirnregionen hat das interdisziplinäre Trio mit einer Reihe unterschiedlicher Verfahren untersucht, um die Interaktion von Bewusstsein und Körper und unsere Beziehung zu ihrer konstatierten Abnormalität zu verstehen. Das Ergebnis dieser beeindruckenden Kartierung der Bedingungen und Möglichkeiten der Wahrnehmung unserer selbst und anderer waren schließlich neben einem Film eine Installation, ein Buch und eine CD sowie eine Internetseite.
Unter dem Motto „Mapping Perception“ steht dieses Jahr nun das ganze internationale Filmprogramm des größten und renommiertesten Festivals für aktuelle Medienkunst in Europa. Denn dessen 26. Ausgabe umkreist von Mittwoch bis Sonntag nächster Woche mit mehr als 180 Kurz- und Langfilmen, Dokumentationen, Installationen, Performances und Vorträgen die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs Mapping.
Ein thematisches Scharnier, das zwei zentrale Aspekte des Festivals miteinander verknüpft. Denn der Begriff des Mappings hat in den letzten Jahren eine beachtliche Karriere gemacht. Vor allem im Bereich der digitalen Produktion von Bildern, sei es in Videos oder Computerspielen, bezeichnet er heute zentrale Techniken, die mit der ursprünglichen Bedeutung – der Kartierung eines Terrains und dem Ausloten, Überschreiten und Neu-Definieren von Grenzen, etwa in der aktuellen Medienkunst – nur wenig gemein haben. Viel allgemeiner geht es hier um Techniken der Abbildung, die zunehmend auch zum Medium und Gegenstand künstlerischer Prozesse werden.
„Mapping Time“ heißt denn auch die zentrale Ausstellung in der Kunsthalle Osnabrück, die bis Ende Mai 36 aktuelle Positionen, die beispielhaft für gegenwärtige Tendenzen in der Medienkunst stehen, präsentiert. Im Zentrum stehen hier analytische und politische Betrachtungen des Zeitgeschehens ebenso wie Auseinandersetzungen mit der Zeit als Grundlage von Bild und Bewegung.
Zu sehen ist dort zum Beispiel die Klanginstallation „Aesop“ des in Berlin lebenden Franzosen David Letellier: Zwei kinetische Strukturen stehen sich gegenüber, bestehend aus je 12 dreieckigen Tafeln, verbunden und mit Energie versorgt von sechs linearen Aktoren und kontrolliert durch ein Computerprogramm. Im Zentrum dieser Korolla befinden sich ein Lautsprecher und ein Mikrofon. In regelmäßigen Abständen produziert jede Skulptur einen Klang, der zugleich von der Gegenseite aufgenommen und analysiert wird und sie entsprechend der Frequenzen in Bewegung versetzt. Wie in einer Feedback-Schleife spielt sie den aufgenommenen Klang schließlich wieder ab – mit allen Fehlern und Störungen durch Raum und Besucher.
Mit Störungen maschineller Wahrnehmung und den Missverständnissen, die sich daraus ergeben, spielt auch die Installation „Vincent und Emily“ des Offenbacher Künstlerduos Carolin Liebl und Nikolas Schmid-Pfähler. Die zwei kontaktfreudigen Roboter erfassen über Sensoren Geräusche und Bewegungen und reagieren darauf durch eigene Äußerungen. Dass Emily versteht, was Vincent gerade übermitteln will, ist dabei mitnichten gesichert. Ist dessen Auf und Ab nun eine negative oder positive Reaktion?
Mit der digitalen Produktion von bewegten Bildern seit den 1980ern und der Frage, ob diese Bilder sich gegenüber Filmbildern zur dominanten Bildkategorie entwickeln werden, setzt sich der Essayfilmer Harun Farocki in seiner Doppelprojektionsarbeit „Parallele“ auseinander. Welche Konsequenzen hat das digitale Nachbauen einer Realität auf die Lektüre von Bildern und die Wahrnehmung der Welt?
Aktuelle Veränderungen in der Rezeption bewegter Bilder stehen auch in Mittelpunkt der Filmprogramme, die sich unter anderem mit den Veränderungen durch die Verbreitung von Smartphones und Tablets und die Digitalisierung des Kinos auseinandersetzen. Welche Effekte zeitigt die Tatsache, dass bewegte Bilder heute überall und jederzeit verfügbar sind, en passant produziert und ins Internet hochgeladen werden können?
Handgemacht sind hingegen etliche Filme der kalifornischen Film-Alchemistin Kerry Laitala, der im Rahmen des Schwerpunktes „Mapping Material“ eine Werkschau gewidmet ist. In der Tradition klassischer Experimentalfilmavantgarde stellt Laitala ihre Filme mitunter ganz ohne Kamera her: Indem sie etwa reale Objekte auf Filmstreifen platziert und direkt belichtet, das Material selbst entwickelt und mechanisch behandelt und es dabei sowohl physisch als auch ästhetisch verändert. Zu sehen sind zum Beispiel die „Expanded Cinema“-Projektor-Performance „Velvet of Night“ und eine Reihe psychedelisch pulsierender „chromatischer Cocktails“, die im Verlauf der letzten vier Jahre entstanden sind.
■ Osnabrück: Mi, 24. 4. bis So, 28. 4., diverse Orte, Infos und Programm: www.eamf.de; Ausstellung bis 26. 5., Kunsthalle Osna–brück, Hasemauer 1, Di 13 – 18 Uhr, Mi – Fr 11 – 18 Uhr; Sa / So 10 – 18 Uhr, jeden 2. Do im Monat bis 20 Uhr