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Archiv-Artikel

Sarkastische Seufzer

MARATHON Im Ballhaus Naunynstraße wurden die kompletten 180 Seiten von Maxim Billers Buch „Der gebrauchte Jude“ vorgelesen

Sein Publikum findet Biller in jenen, deren spezielle Affinität sich aus dem Bewusstsein des Andersseins speist

VON MANUEL KARASEK

Untergründig drehte sich der Text, der am Samstagabend im Ballhaus Naunynstraße vorgelesen wurde, um Besessenheit. Vordergründig gesehen war diese Veranstaltung eine Marathonlesung, in der das Schauspielerensemble des Hauses die kompletten 180 Seiten von Maxim Billers Buch „Der gebrauchte Jude“ vortrug. Die Lesung wurde lediglich unterbrochen durch den Auftritt der Band Daniel Kahn & The Painted Bird. Vordergründig ging es natürlich und hauptsächlich um Maxim Biller, der die neben Henryk M. Broder hierzulande bekannteste Figur des Feuilletons ist, die ihren jüdischen Hintergrund betont.

Denn gerade dieses soziokulturelle Selbstverständnis des Autors, als Hebräer im Lande der Goi nach dem Holocaust aufgewachsen zu sein, ist Thema des Buches. Es ist seine Obsession, die als Mitteilung entweder penetrant wirken kann oder aber über einen bemerkenswerten Unterhaltungswert verfügt, weil sie eben die geistreiche und intelligente Stimme eines Außenseiters ist.

Demgemäß die Töne seiner Prosa mit den leicht sarkastischen Seufzern: Wie aufregend er die amerikanischen Juden als junger Mann gefunden habe, allein weil sie nicht so stark vom Gedenken an die Schoah berührt wurden – und ihre ethnische Selbstdefinition in der nordamerikanischen Gesellschaft nach außen hin weitaus offensiver angehen konnten, als es die fast unsichtbare jüdische Minderheit in Deutschland vermochte.

Sparsam spröde Narration

Man kennt das Thema, man weiß um das Biller’sche Drama. Biller war also auch der sichtbarste Teil des Abends – durch seinen autobiografischen Erinnerungstext. Dieser verlor durch die Vortragsweise – die Schauspieler lasen jeweils etwa 20 Minuten – nichts von seinen Schwächen und Stärken.

Sein Buch hat jenen Plauderton, den er sich u. a. von Philip Roth abgeschaut hat. Das führt zu dem Effekt, dass die Erzählung sehr starke Affekte behandelt, sie aber auffängt in einem bewusst sparsam-spröden Netz aus Narration. Sein Publikum findet Biller dann in jenen, deren spezielle Affinität sich aus dem Bewusstsein des Andersseins speist – mit dem deutlichen Hinweis, dass diese Außenseiterposition historisch verortet ist, nämlich mit der Verarbeitung der Holocaust-Traumata; und dass sie den Umstand einbezieht, eine unmittelbare Nähe zu allem Israelischen zu pflegen. Gerade wenn Passagen vorgelesen wurden wie die, in denen Biller erklärt, dass ihn der Holocaust eigentlich nicht interessierte, er aber, wenn er darüber schrieb, stets das Gefühl hatte, besonders viel dazu sagen zu können, weiß man, dass dies ein zentraler Satz im Buch ist.

Etwa hundert Personen waren in die Naunynstraße gekommen. Weißes, weiches Tuch, hell und warm bestrahlt, bauschte bauchig über den Köpfen. In der Mitte des Raums ein schwarzer Konzertflügel, der nahezu abstrus groß wirkte, wie der Rücken eines Buckelwals.

Polka und Jazz

So saß man zwar eng beieinander, aber nicht beengt und hörte Musik von Daniel Kahn & The Painted Bird. Auch hier konnte man den Verlauf des roten Fadens erkennen, der den Abend thematisch zusammenhielt. Die Klänge, die sich aus den Elementen der Klezmer-Musik, des Jazz und des Pop bedienten, sind der internationale Ausdruck jener Affinität zum jüdischen Background.

Das hatte größtenteils etwas von der galizischen Musiktradition mit ihren starken slawischen Polkaeinflüssen, verfeinert durch die Struktur der Musik New Yorker Jazzclubs. Aber als Daniel Kahn einmal in die Runde rief, ob das Publikum überhaupt den Text verstehen würde, war schnell klar, dass nur ein Native Speaker das Problem hätte lösen können. So richtig wollte der Funken nicht überspringen. Das mag auch an der Moskauer Kälte draußen gelegen haben.

Maxim Billers Buch „Der gebrauchte Jude“, das wurde an diesem Abend ebenfalls deutlich, ist auch ein Text über das kulturelle Klima im Westdeutschland der 80er-Jahre, in der sich alle für hochbegabt und die anderen für überschätzt hielten. Oft erinnert sein Text an den abschätzigen Zynismus, das narzisstische Schielen nach innen, den Auf- und Abbau von Ego in der damaligen Kulturproduktion. Das klingt beispielsweise so: Alle großen Publizisten in Deutschland seien Juden gewesen: Karl Kraus, Tucholsky, Alfred Kerr, Reich-Ranicki und Maxim Biller.

Dazu fällt einem ein, dass das Wort „Originalgenie“ eine Begriffsperücke des 18. Jahrhunderts war. Der berühmte Film „Amadeus“ bewies jedoch, dass der Begriff in den Träumen vieler Köpfe spukte. Auch davon erzählt Maxim Biller: von der wilden Jagd nach Anerkennung; von den kühnen Träumen junger Schriftsteller, einmal große und gewichtige Sachen zu schreiben. Das hat übrigens etwas Verletzliches, Weiches und Schönes.