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Archiv-Artikel

„Der Verkäufer war der Guru“

VINYL Am Samstag ist internationaler Tag des Schallplattenladens. Dann eröffnet in Schöneberg der neue Plattenladen Dodo Beach. Tomas Spindler und Stephan Schulz erklären, warum es dort nur Vinyl geben wird

Dodo Beach

■ Überall müssen Plattenläden mangels Umsätzen schließen, aber pünktlich zum diesjährigen Record Store Day am 20. April eröffnet ein neuer in Berlin. Mit dem Dodo Beach in der Vorbergstraße 8 in Schöneberg stellen sich Tomas Spindler und Stephan Schulz zwar gegen den Trend, aber das mit viel Enthusiasmus. Spindler, Chef des größten Berliner Konzertveranstalters Trinity Music, betrieb schon in den achtziger Jahren den Plattenladen Screen, Schulz arbeitete 20 Jahre bei City Music.

■ Im Dodo Beach werden ausschließlich Vinyl-Scheiben verkauft, aber dafür mit großer Bandbreite: Auf mehr als 200 Quadratmetern warten Klassiker, Neuerscheinungen und Limitiertes, Alben, EPs und Singles, Importe aus Thailand oder Australien, frisch gepresst und Secondhand aus Rock und Soul, Indie-Pop und Hardcore, Punk und Jazz. Der Metal Dungeon im Keller, wo unter einer schwarz gestrichenen Decke alles steht, was hart ist, wird von Matthias Mader vom Verlag und Internet-Magazin Iron Pages betreut. Außerdem gibt es Bücher, Fanzines, T-Shirts, Merchandise, Konzerttickets und ab und zu auch ein Ladenkonzert. Den Anfang am Record Store Day am 20. April machen gleich fünf Bands, darunter die Dänen Kashmir. Radio Eins wird sieben Stunden lang live aus dem Dodo Beach senden.

■ Was sonst noch am Record Store Day in Berliner Plattenläden und auch sonst wo in der Welt an Besonderheiten passiert, erfährt man im Netz bei recordstoreday.com.

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Herr Spindler, Herr Schulz, sind Sie völlig bekloppt?

Tomas Spindler: So ehrlich hat sich noch keiner zu fragen getraut.

Heutzutage werden Plattenläden vielleicht geschlossen, aber nicht neu eröffnet.

Stephan Schulz: Deswegen heißt der Laden ja auch Dodo Beach nach einem ausgestorbenen Vogel. Aber nein, wir sind nicht bekloppt. Jedenfalls nicht bekloppter, als wir es schon immer waren.

Spindler: Das ist mir egal, ob mich jemand für bekloppt hält. Letztlich geht es mir darum, den Spaß an der Musik nicht zu verlieren. Mit den Platten kann ich eine Liebe zur Musik wiederaufbauen, die mir ein bisschen verloren gegangen ist durch die vielen Jahre im Konzertgeschäft. Wenn es mir schlecht geht, muss ich nur rübergehen in den Plattenladen – dann geht es mir nach fünf Minuten wieder gut.

Schulz: Aber wir glauben, dass nicht nur Tomas den Laden, den wir hier aufmachen, braucht, sondern auch diese Stadt.

Warum braucht Berlin gerade Dodo Beach?

Schulz: Weil bekloppte Leute ihn machen und sich genau daraus ein Sortiment ergibt, das den ein oder anderen vielleicht noch zu überraschen vermag. Hier gibt es Platten, die sich andere nicht in den Laden stellen.

Vielleicht deswegen, weil sie keiner kaufen will?

Schulz: Falls es die Nachfrage nicht gibt, hoffen wir sie zu wecken. Im Idealfall sollte es in unserem Laden so sein, dass ein Kunde glücklich mit einer Platte nach Hause geht, von der er vorher nicht mal wusste, dass es sie gibt – geschweige denn, dass er sie haben wollte.

Ist das eine ausreichende Basis für eine solche Investition, die so ein Laden darstellt?

Schulz: Die Basis ist die Leidenschaft für das Vinyl, die immer mehr zunimmt. Es gibt immer mehr Menschen, die das Format für sich wiederentdecken. Und es gibt junge Leute, die mit MP3s aufgewachsen sind, die Vinyl ganz neu entdecken und jetzt hier bei uns mit einer Erektion vorm Regal stehen.

Spindler: Wir merken, die Nachfrage ist da. Es gibt Steigerungsraten beim Umsatz von Vinyl von dreihundert, vierhundert Prozent. Vinyl ist das einzige Tonträgerformat, das von Jahr zu Jahr immer begehrter wird. Wenn heute Singles erscheinen, dann haben die zwar vielleicht nur eine Auflage von 500 Stück, aber die sind dann auch oft nach nur einem Tag verkauft. Also es gibt einen Markt. Aber natürlich: Screen haben wir zugemacht, als die CD kam. Das Konzertgeschäft war damals meine Rettung – und ohne das Konzertgeschäft könnte ich nicht mal drüber nachdenken, jetzt wieder einen Plattenladen aufzumachen. Denn natürlich muss man erst einmal eine ganze Menge Geld reinstecken, und natürlich gibt es ein wirtschaftliches Risiko. Aber mir ist da nicht bange. Außerdem hat es mich selbst überrascht, wie viele qualitativ hervorragende Bands es heutzutage gibt, die auch gehört werden sollten. Die 700 Konzerte, die wir mit Trinity Music jährlich veranstalten, sind nur die Spitze des Eisbergs: Es gibt unheimlich viel tolle Musik, so viel wie nie zuvor.

Werden die Kunden Ihren Laden hier in Schöneberg überhaupt finden?

Spindler: Sicherlich nicht zufällig, Schöneberg ist nun mal nicht der Nabel der Welt. Die Leute werden schon ausdrücklich hierherfahren müssen, weil dieser Laden einmalig ist. Weil sie wissen: Das, was sie hier kriegen, das kriegen sie nirgendwo anders. Und dass Leute hinterm Tresen stehen, die mit Leidenschaft dabei sind. Etwas, was dir das Internet nicht bieten kann.

Der Plattenladen als sozialer Ort?

Schulz: Ja, in diese Richtung soll es gehen. Das bieten, zumindest in Berlin, zwar auch noch andere an, aber es gibt da, denken wir, noch Platz für mehr Läden, die diesen Charakter haben.

Spindler: Als ich klein war, bin ich dreimal um den Plattenladen rumgegangen, bevor ich mich reingetraut habe. Der Verkäufer war der Guru, und wenn man die falsche Platte auf den Tresen gelegt hat, dann gab es Ärger. Aber es gab eben auch Orientierung, was man hören sollte, was gut war. Und diese Orientierung, die ist heutzutage, wo es so viel mehr an Musik gibt, ja noch viel wichtiger geworden. Das Internet ist prima, aber ich verliere mich da, wenn ich nach Musik suche.

Das Fachsimpeln im Plattenladen war traditionell eine Männerdomäne. Ändert sich da etwas? Kommen auch Frauen in die Läden?

Schulz: Es sind schon noch hauptsächlich Männer, die in den Plattenladen gehen. Aber wenn Frauen das Plattensammeln entdeckt haben, dann sind sie umso manischer.

Spindler: Aber wir müssen diese alten Strukturen aufbrechen. Wir haben ja nur eine Chance, wenn wir junge Menschen und auch mehr Frauen wieder für Platten begeistern können.

Inwiefern verkaufen Sie hier nicht Platten, sondern ein Lebensgefühl?

Schulz: Zu einhundert Prozent.