: Sicherer Posten, aber unsichere Allianzen
ITALIEN Am Donnerstag tritt das Parlament zusammen, um einen neuen Staatspräsidenten zu küren. Wegen des Patts zwischen drei politischen Blöcken im Senat könnte diese Aufgabe schwierig werden
AUS ROM MICHAEL BRAUN
In einer Phase höchster politischer Unsicherheit hat Italiens Parlament den paradoxen Auftrag, den wohl einzig sicheren politischen Job auf nationaler Ebene zu vergeben: das Amt des Staatspräsidenten. Am Donnerstag treten Abgeordnete, Senatoren und 58 Vertreter der Regionen zusammen; den 1.007 Wahlmännern und -frauen obliegt es, den Nachfolger des scheidenden Giorgio Napolitano zu bestimmen.
Sieben Jahre amtiert der Präsident, dem die Verfassung ähnlich Machtbefugnisse zuweist wie dem deutschen Bundespräsidenten. In Zeiten politischer Unüberschaubarkeit ohne klare Mehrheiten im Parlament aber wächst der Presidente della Repubblica weit über die Rolle eines obersten Zeremonienmeisters hinaus: Er erteilt den Auftrag zur Regierungsbildung und entscheidet über die Auflösung des Parlaments samt Neuwahlen.
Schon Giorgio Napolitano war dank dieser Befugnisse in den letzten zwei Jahren zum herausragenden Regisseur der italienischen Politik in der Eurokrise geworden. Napolitano entschied nach dem Scheitern der Regierung Berlusconi im November 2011 gegen sofortige Neuwahlen – sie hätten einen sicheren Sieg der Linken gebracht – und setzte dagegen bei den widerwilligen Parteien der Linken wie der Rechten die Technikerregierung Monti durch.
Zentral wird die Rolle des Präsidenten erst recht gegenüber dem aus den Wahlen vom 24./25. Februar hervorgegangenen Parlament. Zwar verfügt die Allianz um die gemäßigt linke Partito Democratico (PD) im Abgeordnetenhaus über die absolute Mehrheit, doch im Senat herrscht ein Patt zwischen den drei politischen Blöcken: der Linken, der mit knapp 30 Prozent fast gleich starken Berlusconi-Rechten und der Protestbewegung Movimento5Stelle unter Beppe Grillo, die gut 25 Prozent erzielte.
Mit knapp 500 Stimmen stellt die Linke den größten Block in der Wahlversammlung. Ihr fehlen nur ein paar Stimmen zur absoluten Mehrheit, die vom vierten Wahlgang an reichen würde, um den Präsidenten zu küren.
Doch die Partei ist tief zerrissen über die weiteren politischen Perspektiven – und damit auch über die Auswahl eines passenden Kandidaten. Im Kern hat sie zwei Optionen: Entweder sie setzt auf ein Anti-Berlusconi-Bündnis und versucht, Grillos „5 Sterne“ auf ihre Seite zu ziehen. Oder sie verfolgt das Ziel, eine Links-rechts-Allianz mit Berlusconi zu schmieden und eine große Koalition im Namen des nationalen Notstands aufzulegen.
Das Dilemma des PD-Chefs Pierluigi Bersani ist jedoch, dass Grillo sich ihm bisher hartnäckig verweigert. Umgekehrt will Bersani und mit ihm die Mehrheit der Partei nichts von einem Zusammengehen mit Berlusconi wissen, auch wenn der sich kooperationsbereit gibt. Zugleich verschärfen sich die Konflikte in der PD immer mehr. Vor allem der junge Matteo Renzi, Bürgermeister von Florenz mit hohen Popularitätswerten, wirft Bersani vor, bloß kurzfristig auf die Wahl eines genehmen Präsidenten zu schielen, der dem PD-Chef die Regierungsbildung antragen soll.
Je nach Option gibt es unterschiedliche Favoriten. Ein rotes Tuch für Berlusconi wären zum Beispiel der frühere Regierungschef und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, aber auch der Jurist und langjährige Abgeordnete Stefano Rodotà. Der Rechten genehmer wären dagegen die früheren Ministerpräsidenten Massimo D’Alema und Giuliano Amato, die immer weitaus stärker den Dialog mit Berlusconi gepflegt haben als Prodi. Amato und D’Alema können deshalb keineswegs auf Stimmen aus dem Grillo-Lager zählen – Prodi oder Rodotà dagegen durchaus.