: Gasstreit eskaliert
AUS MOSKAUKARSTEN PACKEISER
Verzweifelt versuchen ukrainische Unterhändler, einen Stopp der russischen Gaslieferungen zum 1. Januar 2006 noch zu verhindern. Der ukrainische Energieminister Iwan Platschkow erklärte in Moskau, sein Land könne frühestens im Jahr 2009 Weltmarktpreise für russisches Erdgas bezahlen.
Die Abschaltung der Gasströme soll medienwirksam vor laufenden Fernsehkameras inszeniert werden. Um Punkt 10 Uhr morgens Moskauer Zeit wird der russische Gaskonzern Gazprom am 1. Januar die Exporte an die Ukraine einstellen, wenn bis dahin kein neuer Liefervertrag mit dem Nachbarland unterschrieben wird. Statt wie bisher 50 Dollar je 1.000 Kubikmeter Gas fordert Gazprom im neuen Jahr 220 bis 230 Dollar. Kompromisse will in Russland offenkundig niemand mehr eingehen. Meldungen der ukrainischen Unterhändler, Gazprom sei zu einer schrittweisen Anhebung der Tarife bereit, wurden in Moskau umgehend dementiert.
Wie sehr die Nerven im russisch-ukrainischen Gaskrieg inzwischen strapaziert sind, zeigte am Donnerstag ein Vorfall auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo. Eine Gruppe ukrainischer Journalisten, die aus der russischen Hauptstadt über die Gaskrise berichten wollte, wurde bei der Grenzkontrolle festgenommen. In der Ostukraine tauchten unterdessen angeblich von Oppositionsführer Wiktor Janukowitsch verfasste Flugblätter auf, die der Bevölkerung erklären, wie sie sich im Falle des Einmarsches russischer „Friedenstruppen“ zu verhalten habe.
Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko erklärte dennoch, der Gasstreit werde in Kürze mit einem Kompromiss beigelegt – seine Standardformel in den letzten Wochen. Keiner einzigen ukrainischen Familie stehe ein Winter in einer unbeheizten Wohnung bevor, versprach der Staatschef. „Allerdings kann zweifellos keine Rede von 230 Dollar für 1.000 Kubikmeter sein“, so Juschtschenko, „Das ist ein Preis, den die Ukraine niemals akzeptieren wird.“
Juschtschenkos Premierminister Juri Jechanurow reagierte auf die Gazprom-Drohungen inzwischen mit der Ankündigung, notfalls werde die Ukraine 15 Prozent der Transitlieferungen an Westeuropa für eigene Zwecke abzweigen. Was Jechanurow als das „unbestreitbare Recht“ seines Landes bezeichnete, ist für Gazprom-Chef Alexej Miller schlicht „Diebstahl“.
Sollte die Ukraine sich aus den Gaslieferungen an die westeuropäischen Länder bedienen, müssten notfalls auch die Exporte dorthin eingestellt werden, heißt es bei Gazprom.
Der deutsche Botschafter in Kiew, Dietmar Stüdemann, ergriff Partei für die Ukraine. Sie habe ein Recht darauf, dass die Preise für die russischen Gaslieferungen schrittweise und nicht auf einen Schlag angehoben würden, sagte er der ukrainischen Zeitung Delo. Das Ultimatum Moskaus sei nicht hinnehmbar.
Die EU hingegen hat sich bisher nicht in den Konflikt eingemischt. „Das ist eine innere Angelegenheit Russlands und der Ukraine“, sagte der Moskauer EU-Botschafter Marc Franco in einem Interview.
Das russische Verteidigungsministerium bereitet sich inzwischen auf Verhandlungen über die Zukunft der Schwarzmeerflotte und die Pachtgebühren für zwei russische Radar-Frühwarnstationen vor. Russlands Verteidigungsminister Sergej Iwanow drohte bereits, der Kreml könnte den russisch-ukrainischen Grenzvertrag aufkündigen, sollte die Ukraine als Antwort auf den Gasstreit die russische Flotte von der Krim verdrängen wollen. Die Pachtbedingungen für den Stützpunkt in Sewastopol seien „unabdingbarer Teil“ eines Vertrags von 1997, in dem Russland auf Gebietsansprüche gegenüber der Ukraine verzichtet habe, so Iwanow.