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Archiv-Artikel

vor der festung europa Abschreckungspolitik

„AusgeLAGERt“ sollte eigentlich nur eine Sonderausgabe der Zeitschrift Flüchtlingsrat und des „Forschungszentrums Flucht und Migration“ werden. Die Herausgeber wollten klären, warum die „Cap Anamur“ im Juli 2004 mit 37 Flüchtlingen an Bord im Mittelmeer umherirren musste. Doch dann beschlossen die Redaktionen, tiefer zu schürfen. Die Artikel des 188 Seiten starken Taschenbuchs analysieren anhand der Mittelmeerregion detailliert die Flüchtlingspolitik der EU – und berichten vom traurigen Alltag vor den Toren der Festung Europa.

Die Grenzen werden immer besser abgesichert, und die Zusammenarbeit mit den undemokratischen Regimen Nordafrikas wird ausgebaut. So wurden an Spaniens Südküste Milliarden investiert, um alle Bewegungen an der Meerenge von Gibraltar zu beobachten. Der Zaun um die beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla wird immer höher, und das nicht erst, seit Flüchtlinge ihn im Spätsommer dieses Jahres überrannten. Die technische Ausrüstung wird immer ausgefeilter, um jede Bewegung, auch weit jenseits der Grenze, beobachten zu können.

Die Regierung in Rabat wiederum wird mit in die Vorwärtsverteidigung der EU-Außengrenze eingebunden. Razzien, Massenverhaftungen, Internierung in Militärcamps und Abschiebung, oft mitten in die Wüste, gehören für die schwarzafrikanischen Flüchtlinge längst zum Alltag. Die Europäische Union nimmt das billigend in Kauf.

Auch Italien setzt auf die Kooperation mit seinen nordafrikanischen Nachbarn. Seit vergangenem Herbst lässt es vor allem von der Mittelmeerinsel Lampedusa verstärkt Schwarzafrikaner nach Libyen schieben. Die Flüchtlinge werden in Lager verbracht, die, laut Augenzeugen, nicht einmal über die wesentlichsten Einrichtungen verfügen. In Lastwagen werden Tausende nach Süden verfrachtet, um sie dort – mitten in der Sahara – über die Grenze in die Nachbarländer abzuschieben. Auch Tunesien, Mauretanien und Algerien unternehmen immer wieder solch unkontrollierten Rückführaktionen.

Doch dies ist den Sicherheitsexperten hierzulande nicht genug. „Genüsslich nutzte der deutsche Innenminister, unterstützt von seinem italienischen Amtskollegen, die Gunst der Stunde, Auffanglager in den nordafrikanischen Anrainerstaaten zu fordern“, erinnern sich die Autoren von „AusgeLAGERt“. In diesen „Fluchtzonen“ der EU in so genannten sicheren Drittländern und eingezäunten Lagern, von denen auch die britische Regierung schon lange träumt, sollen die Betroffenen die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen. Wer anerkannt wird, kann kommen; der Rest bleibt, wo er ist.

Vorbild für diese Bewältigung des Flüchtlingsproblems, hunderte von Kilometern vor der eigentlichen EU-Grenze, sind die Flüchtlingscamps, die während des Kosovokrieges in den umliegenden Ländern eingerichtet wurden. „AusgeLAGERt“ kommt zu den Schluss: „Die aktuellen Lagerpläne sind ein Ausdruck der Zuspitzung und Militarisierung der europäischen Flüchtlingspolitik.“

Wie weit die Lagerpolitik geht, zeigt eine Landkarte Europas, die dem Buch beigelegt ist. Auf ihr lässt sich ein Netz von Auffang-, Internierungs- und Abschiebelagern erkennen, das den ganzen Kontinent überzieht. „Dieses Lagersystem zielt auf ein Dreifaches“, wird dazu anhand der deutschen Politik erklärt. Wer auf der Suche nach Schutz und einem besseren Leben nach Deutschland kommt, „den erwartet ein entwürdigender, krank machender, von der ansässigen Bevölkerung separierender und behördlich/polizeilich kontrollierter Alltag“. Das diene der Abschreckung weiterer Flüchtlinge. Und der deutschen Bevölkerung „wird signalisiert, dass es sich bei den Eingezäunten um Menschen handelt, die nicht erwünscht sind“.

Wanderbewegungen würden in der EU nicht „als soziales Problem“, sondern „als Bedrohungsfaktor“ wahrgenommen und „mit dem Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus verbunden“, lautet der abschließende Vorwurf des Sammelbandes.

            REINER WANDLER

Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Flüchtlingsrat Niedersachsen, Komitee für Grundrechte und Demokratie: FFM-Heft 10 „AusgeLAGERt. Exterritoriale Lager und der EU-Aufmarsch an den Mittelmeergrenzen“. Assoziation A, Berlin 2005, 190 Seiten, 10 Euro