Quotendruck statt Rotfunk

Der WDR wird an diesem Wochenende fünfzig Jahre alt. Zum Jubiläum kümmert sich die größte der ARD-Anstalten ausnahmsweise nicht um Marktanteile und zeigt lieber eine Klassik-Premiere

VON SEBASTIAN SEDLMAYR

Am Neujahrsabend feiert der WDR Auferstehung. Zum 50. Geburtstag des Senders haben sich die Programmverantwortlichen einen Gag erlaubt: Der Österreicher Künstler Johannes Deutsch und das WDR Sinfonieorchester Köln setzen die „Auferstehungssymphonie“ von Gustav Mahler in einen Live-Videoclip um. Die Kölner Philharmonie ist mit Planen und Hochleistungscomputern ausgestattet worden, sämtliche Musiker und der Dirigent Semyon Bychkov sind verkabelt und erzeugen mit ihren Bewegungen dreidimensionale Lichtskulpturen im Konzertsaal. Die Zuschauer können das Spektakel auch vor dem TV-Gerät verfolgen. Wenn sie eine der 200.000 albernen 3-D-Brillen aufsetzen, die derzeit von West-Lotto verteilt werden, sehen sie angeblich noch dreidimensionaler. „Quotenfreie Zone“ sei dieser Abend, hat TV-Programmdirektor Ulrich Deppendorf verkündet. Die Live-Performance sei ein „Wagnis“.

Der WDR ist eben auch nach 50 Jahren noch eine ganz besondere ARD-Anstalt. Selbst ohne Mahler: Der WDR ist nicht nur der größte, sondern auch der profilierteste Sender im Gemeinschaftsprogramm. Persönlichkeiten wie Claus Hinrich Casdorff, Klaus Bednarz, Anne Will sind Vorbilder ganzer Journalistengenerationen. So verschiedene Sendungen wie „Monitor“ (seit 1965) und „Die Sendung mit der Maus“ (seit 1971) sind zu lebenden Denkmälern der Fernsehgeschichte geworden. Filme wie „Holocaust“ (1979) haben das Land verändert. WDR-Programmdirektor Heinz-Werner Hübner hatte die Serie, die bei vielen Deutschen erst ein Bewusstsein für die historische Schuld geschaffen hat, damals gegen Widerstand in der ARD durchgesetzt.

Jahrzehntelang haftete den Kölnern wegen solcher Aufklärungsstücke das Attribut „Rotfunk“ an. Wie wenig davon geblieben ist, zeigt die enorm friedliche Koexistenz unter Intendant Fritz Pleitgen mit der schwarz-gelben Landesregierung. Das Klima zwischen ihm und der Regierung sei „anhaltend gut und konstruktiv“, sagte Pleitgen auf einer Jubiläumspressekonferenz in Köln. Bei der Diskussion um die Olympia-Übertragungsrechte sei CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sogar persönlich in die Bresche gesprungen. „Wir können uns nicht beklagen“, so Pleitgen. Über die Jahre habe der Versuch parteipolitischer Einflussnahme ohnehin stark abgenommen.

Heute, im dritten Jahrzehnt nach der Einführung des Privatfernsehens, muss sich der WDR gegen den allgemeinen Quotendruck behaupten. Im Jubiläumsjahr soll die Übertragung der Fußball-WM für hohe Zuschaueranteile sorgen. Damit könnte der WDR in der Gesamtschau der Produktionen die schwachen Quoten wieder ausgleichen, die bei zahlreichen Jubiläumssendungen zu erwarten sind (siehe Kasten rechts).

Wenn die WM dann vorbei ist, kann sich WDR-Frontmann Fritz Pleitgen langsam auf seinen Rückzug vorbereiten. Am 30. Juni 2007 will er nach zwölf Jahren endgültig aufhören. Wer die Nachfolge antritt, ist noch nicht ausgemacht. Genannt werden neben den „geborenen“ Hauskandidaten Ulrich Deppendorf (Fernsehprogrammdirektor) und Monika Piel (Hörfunkprogrammdirektorin) auch der ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut und ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Die Zusammensetzung des Rundfunkrats, der die Intendanz wählt, hat sich nach dem Wahlsieg von CDU und FDP bislang zwar kaum verändert. Aber dass eine Person an die Spitze kommt, die mit den neuen Führungskräften in Düsseldorf gar nicht kann, ist eher unwahrscheinlich.

In den vergangenen Monaten haben vor allem die Kürzung der Politmagazine (siehe Text unten), der Streit um die Rundfunkgebühren und der Schleichwerbungsskandal bei der Tochterfirma Bavaria für reichlich Ärger gesorgt. Trotzdem haben sich die Programmverantwortlichen zum Geburtstag immerhin soviel Selbstironie erhalten, dass es sogar für eine Sendung mit dem Titel „WDRÄrger – Die schönsten Radioskandale“ reicht. Vielleicht gibt es bald ja auch noch einen TV-Zwilling dazu: „Die schönsten Fernseh-Flops“.